Mondscheingeflüster
alles mit dir herum?«
»Kosmetik ... Haarspray ... das ist ziemlich schwer ...«
Kathrin brachte diese Worte nur stotternd heraus, so heftig schlugen ihre Zähne aufeinander. Ihre Füße taten so weh, dass sie kaum stehen konnte. Wie hatte sie es überhaupt nur geschafft, so weit zu laufen? An Mikes Arm überquerte sie die Straße, mehr humpelnd als gehend. Vor dem Eingang blieben sie stehen.
»Also, Kathrin, dann lasse ich dich jetzt allein«, sagte Mike. »Ich hoffe, du machst jetzt keinen Unsinn mehr. Du gehst sofort in dein Zimmer und legst dich ins Bett, verstanden?«
»Ja. Gute Nacht, Mike. Vielen, vielen Dank. Bitte, geben Sie Peggy ein Stück Zucker von mir.«
»Mach ich. Gute Nacht!«
Er blieb stehen, bis sie im Foyer verschwunden war, offenbar wollte er ganz sicher sein, dass sie wirklich nichts mehr anstellte. Kathrin lächelte. Wie rührend er war! Sie hinkte zur Rezeption, ließ sich den Zimmerschlüssel geben, schwankte zum Aufzug, schleppte sich oben den Gang entlang zu ihrem Zimmer. Kaum war sie drinnen, da klingelte auch schon das Telefon. Der Portier meldete, ein Herr sei am Apparat, der schon seit zwei Stunden alle zehn Minuten anrufe. Das konnte nur Ted sein. Darauf gefasst, einen schrecklichen Wutausbruch zu erleben, ließ sich Kathrin verbinden.
Es war wie erwartet.
»Du bist ja wohl vollkommen wahnsinnig! Rennst mitten in der Nacht in den Central Park! Weißt du, dass du tot sein könntest?«, brüllte er.
»Ich weiß. Du brauchst mich nicht anzuschreien. Es tut mir leid, Ted.«
»Es tut dir leid! Großartig! Ich finde es wirklich nett, dass es dir leidtut. Hast du eine Ahnung, wie lange ich nach dir gesucht habe? Und was ich durchmache seither? O Gott, wie konnte ich nur so dumm sein und mit dir einen Abend verbringen! Es war der beschissenste Abend meines Lebens, das kann ich dir versichern!«
»Ich fand den Abend auch nicht schön. Warum musstest du so wütend werden im Auto? Okay, ich hatte dich mit meinem Alter angeschwindelt. Aber das ist doch kein Verbrechen! Du hattest keinen Grund, mich so schlecht zu behandeln!«
»Ach, jetzt machst du mir noch Vorwürfe! Nach allem, was war, traust du dich noch, mir zu erzählen, was ich falsch gemacht habe! Weißt du, du bist so unverschämt, dass man dich dafür schon fast wieder bewundern könnte!«
Er war außer sich vor Wut, und Kathrin begriff, dass sie ihn im Augenblick durch nichts beruhigen konnte.
Müde und verfroren, wie sie war, hätte sie am liebsten einfach losgeheult, aber sie wusste, dass sie damit alles nur noch schlimmer gemacht hätte.
»Hast ... hast du es deinen Eltern schon erzählt?«, fragte sie mit piepsiger Stimme.
»Nein. Du hast Glück.«
In Wahrheit hatte es Ted natürlich vor allem deshalb nicht erzählt, weil er bei der ganzen Geschichte selber zu schlecht abschneiden würde. Kathrin hatte sich unmöglich und bodenlos leichtsinnig benommen, aber sein eigenes Verhalten war auch nicht ganz korrekt gewesen, das wusste er.
»Dann wissen es meine Eltern auch nicht?«, fragte Kathrin weiter.
Ted knurrte. »Glaubst du, ich rufe deine Eltern in Gott-weiß-wo mitten in der Nacht an und jage ihnen den Schreck ihres Lebens ein? Nein, vorläufig habe ich niemandem etwas gesagt. Ich war nicht einmal bei der Polizei. Aber wenn du in einer Stunde noch nicht da gewesen wärest, hätte ich Alarm geschlagen, und das wäre später ganz schön unangenehm für dich geworden.«
Kathrins Stimme wurde noch piepsiger. »Jetzt, wo alles gut ausgegangen ist, Ted, meinst du nicht, wir könnten das alles überhaupt für uns behalten? Ich meine, warum sollen wir noch im Nachhinein alle ängstigen?«
Ted konnte nicht anders, er musste seine Macht ausspielen. »Das überlege ich mir noch. Eigentlich hast du es nicht verdient, so ganz ungeschoren davonzukommen! Mal sehen, wie es mir morgen geht. Im Moment habe ich eine solche Wut auf dich, ich könnte dich in alle deine Einzelteile zerlegen!« Er schmiss den Hörer auf die Gabel.
»Arroganter, eingebildeter Idiot!«, sagte Kathrin laut.
Mit dem allerletzten Rest an Energie, den sie in dieser Nacht noch aufbrachte, schlurfte sie in das Zimmer ihrer Eltern hinüber und legte die Tasche wieder auf den Sessel. Die schrecklichen Schuhe hatte sie längst von ihren wunden Füßen gestreift und stellte sie nun zu den anderen. Der Schneematsch hatte sie ziemlich ruiniert; es war fraglich, ob Mami sie je wieder würde anziehen können, und wahrscheinlich würde sie einen Wutanfall
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