Mondscheintarif
Wolfgang-Petry-Konzert ging, hatte ich jedenfalls das Gefühl, einen altvertrauten Freund wiederzusehen. Ich kannte natürlich alle Songtexte auswendig. War nur etwas peinlich, dass mich meine Kollegin Sonja trotz meiner dunklen Sonnenbrille gleich erkannte und beim Mitsingen erwischte. Sie sagte, sie habe Freikarten bekommen und sei nur dabei, um den soziologisch interessanten Aspekt der Wiederauflebung des deutschen Schlagers zu studieren. Bevor sie ging, fragte sie noch, ob ich mir schon die tolle neue Doppel-CD von Van Morrison gekauft habe.
Am Ausgang traf ich Sonja dann wieder und sah noch, wie sie eilig einen «Wolfgang-Petry-Kaffeebecher» vor mir zu verstecken versuchte.
Es ist schön, auf dem Balkon zu sitzen. Ich sehe winzige Lebensabschnitte und versuche zu erraten, wie wohl der Rest dieses unter mir vorbeimarschierenden Lebens aussieht.
Diese Frau da zum Beispiel. Sieht aus, als hätte sie in ihrem Leben noch keinen Orgasmus gehabt. Trägt ihre Einkaufstüten so verkrampft, als ginge es darum, einige Topsecret-Mikrofilme aus Feindesland zu schmuggeln.
Den Kerl mit dem Schäferhund kenne ich. Ganz üble Sorte. Der sagt zur Kassiererin im Penny-Markt immer «Frollein», zählt sein Wechselgeld demonstrativ nach, während draußen sein angeleinter Köter mindestens zwei Riesenhaufen neben den Fahrradständer kackt.
Ach sieh an. Der Student aus Nummer 13 geht um diese Zeit noch joggen. Sieht recht knackig aus.
Der Typ, der hinter ihm aus dem Haus kommt, trägt, ich kann meinen Augen kaum trauen, eine Männerhandtasche unterm Arm. Das ist nun wirklich das Allerschlimmste.
Männerhandtaschen sehen aus wie Kulturbeutel. Bloß ohne Kultur. Ähnlich grotesk sind Männer, die nur in Begleitung von Regenschirmen, womöglich Knirpsen, ausgehen. Ich finde, und sicherlich stehe ich mit dieser Meinung nicht alleine da, dass Männer unter Schirmen ihre Würde verlieren.
Es ist das Vorrecht von Frauen, sich um ihre Frisur zu sorgen.
Männer dürfen den Regen und die damit einhergehende Entstellung nicht fürchten. Ein Mann mit Schirm ist wie ein Hund mit Maulkorb. Eine armselige Kreatur.
Unter mir schlendert ein Liebespaar entlang. Sie hat ihre Hand in seiner Hosentasche. Ob die beiden verheiratet sind? Nicht dass mir viel daran läge, verheiratet zu sein. Dieser furchtbare Moment, wenn er sie über die Schwelle wuchten muss. Schlimmer Brauch. Aber ich hätte nichts dagegen, gefragt zu werden. Oder, so wie die Babs vom Boris, einen Hochkaräter in meinem Drink zu finden.
Cora Hofmann. Cora Hofmann-Hübsch. Cora Hübsch-Hofmann. Klingt doch gar nicht schlecht.
Ich würde aber selbstverständlich meinen eigenen Namen behalten. Meinen Beruf würde ich eventuell aufgeben. Aber niemals meinen Namen.
Leider beantworte ich mir hier Fragen, die sich gar nicht stellen. Es ist so frustrierend. Da mache ich mir Kleinmädchengedanken über Doppelnamen, während sich der Träger der einen Namenshälfte nicht mal dazu herablässt, mich anzurufen – geschweige denn, mich zu heiraten.
Mittlerweile scheint die Sonne nur noch auf meine Füße.
Ausgerechnet.
Die Welt ist ungerecht. Marianne wohnt zwei Häuser weiter und hat mindestens zwei Stunden länger Sonne. Möchte trotzdem nicht mit ihr tauschen. Ich kann sehen, wie sie gerade Wäsche auf dem Balkon aufhängt. Wahrscheinlich Windeln. Marianne gehört zu den engagierten Müttern, die Hipp und Pampers verachten und lieber Brei aus Bio-Spinat kochen und am Tag fünf Maschinen mit Stoff-Windeln durchlaufen lassen.
Ich geh mal lieber unauffällig rein. Möchte nicht, dass Marianne mich sieht und auf die Idee kommt vorbeizuschauen. So einsam bin ich nun auch wieder nicht.
«Juhuuuu! Cora! Ist das nicht ein herrlicher Abend?»
Shit. Ich winke freundlich wie Königinmutter von Balkon zu Balkon.
«Rat mal, was der Dennis heute gemacht hat!?»
Na, solche Fragen liebe ich ganz besonders. Was soll ich denn da raten?
«Hat er zum ersten Mal ‹Mama, verpiss dich› gesagt?»
Ich weiß, dass Mütter keinen Spaß verstehen, wenn es um ihre Kinder geht. Aber ich weiß auch, dass Marianne sowieso keinen Spaß versteht. Insofern ist es eigentlich egal.
«Nein! Viel besser!» Marianne beugt sich über das Balkongeländer. Ich schätze derlei Kommunikation nicht. Komme mir vor wie ein altes Waschweib, das am Samstagabend nichts Besseres zu tun hat, als lautstark von Brüstung zu Brüstung zu tratschen. Die Tatsache, dass ich tatsächlich nichts Besseres zu tun habe,
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