Mondscheintarif
undiszipliniert.
2.) Ich wollte mein enges schwarzes Kleid tragen. Und da sieht man nun wirklich jede Rundung. Als ich es das letzte Mal auf einer Betriebsfeier anhatte, wurde ich von mindestens vier Kolleginnen gefragt, ob ich ‹in anderen Umständen› sei. Sogar mein Chef wurde misstrauisch und ließ mich am nächsten Tag in sein Büro kommen, um mich zu fragen, wie lange ich denn in Mutterschutz gehen wollte. Diese Peinlichkeit wollte ich mir ein zweites Mal ersparen.
Mein Bauch war herrlich flach. Und dank einer ordentlichen Portion Maloxan hatte er auch aufgehört zu knurren. Brüste hatte ich zu diesem Anlass selbstverständlich angezogen. Und meine ‹Wonder-Po›-Strumpfhose. Die heißt wirklich so. ‹Wonder-Po, sexy lifting›. In der habe ich, wie Big Jim immer anerkennend sagt, einen ‹rattenscharfen Neger-Steiß›.
Ja, ich war gut vorbereitet. Hatte sogar einige Karteikarten mit möglichen Gesprächsthemen beschrieben und dezent in meiner Handtasche versteckt. Sollte die Unterhaltung versiegen, konnte ich unauffällig nach meinem Lippenstift kramen und dann mit einem neuen, anregenden Thema aufwarten:
«Neues Theaterstück über das Leben von Heiner Müller»,
«Diskutabler Leitartikel in der ‹Zeit› über die Außenministerkonferenz»,
«Gesundheitsreform»,
«Sterbehilfe».
Oder, mehr so aus dem persönlichen Bereich:
«Geschwisterkonstellation»,
«Der Arzt zwischen Mensch und Maschine».
Natürlich hatte ich mir zu all diesen Schwerpunktbereichen mit Hilfe von Big Jim auch interessante Meinungen besorgt. Jim hatte allerdings zum Schluss noch gemeint, ich solle einfach so sein, wie ich immer bin. Dass ich nicht lache. In was für einer Welt lebt dieser Junge eigentlich?
Ich war genau so, wie ich immer bin. Das Blöde an mir ist nämlich, dass ich nichts Besseres zu tun habe, als all die Taktiken, die ich mir zurechtlege, nicht nur nicht anzuwenden, sondern – viel schlimmer noch – auszuplaudern.
Nach zehn Minuten hatte ich Dr. Hofmann bereits von meiner Verabredungstaktik und meiner Diättaktik erzählt und meine sämtlichen Karteikarten auf den Tisch gelegt.
Nach zwanzig Minuten bot er mir das ‹Du› an, nach fünfundvierzig Minuten fragte er mich, ob ich schon mal in Therapie war, und nach einer Stunde hatten wir Folgendes herausgefunden:
▪ wir leiden beide unter unserem dominanten Vater.
▪ wir lieben Werbung und können etliche Slogans auswendig.
Ich sang ihm meinen Lieblingsspot vor: «I like those Crunchips gold’n brown. Spicy and tasty and crispy in sound! Uuuah! Crunchips! Crunch mit!» . (Das wirkt gesungen natürlich viel beeindruckender.)
Daniel konterte mit dem genialen Dialog: «Sag mal, isst eine sportliche Frau wie du eigentlich Schokolade?»
«Ja klar, aber leicht muss sie sein. Wie die Yogurette.»
Ha! Ich nahm den Korken der Weinflasche, umschloss ihn mit meinen Fingern und sagte altklug: «o.b. nimmt die Regel da auf, wo sie entsteht. Im Inneren des Körpers.»
Er sagte: «Isch abe garr kein Auto.»
▪ wir finden beide, dass es ein zwingender Grund ist, den Fernseher auszuschalten, sobald Charles Bronson, Burt Reynolds, Chuck Norris, Hulk Hogan oder Katja Riemann darin auftauchen
▪ wir finden beide, dass Isabelle Adjani immer so aussieht, als müsse sie sich gleich übergeben
▪ wir finden beide, dass Sardellen, Kapern und Rosenkohl so schmecken, wie Isabelle Adjani aussieht
▪ wir lieben beide Spätvorführungen im Kino
▪ wir hassen Menschen, die Dinge sagen wie:
«Ich kenn doch meine Pappenheimer.»
«Alles klar auf der Andrea Doria.»
«Jetzt machen wir mal Zahlemann und Söhne.»
«Tschüssikowski.»
Es war ein herrlicher Abend. Viel getrunken. Viel gelacht. Ich muss sagen, dass Daniel für einen Arzt erstaunlich viel Humor bewies.
Die Ärzte, die ich bisher kennengelernt habe, waren immer ganz schrecklich eindimensional. Palaverten endlos über ihr Fachgebiet – wahlweise nässende Ausschläge (Hautarzt. Nicht zu empfehlen für alle, die weiterhin mit gesundem Appetit essen wollen), kleinzellige Bronchialkarzinome (Lungenarzt. Nicht zu empfehlen für alle Raucherinnen) oder Bewusstseinsspaltungen (Psychiater. Sowieso nicht zu empfehlen).
Daniel erzählte sehr lustige Sachen aus seiner schwierigen Kindheit. Die allerdings hauptsächlich für seine Eltern schwierig war. Daniel hatte nämlich nie Lust, seine Hausaufgaben zu machen. Das ist ja noch normal. Aber als er zum achten Mal unentschuldigt mit leerem
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