Mondscheintarif
herum, «das hier wollte ich dir noch geben.»
Er drückte mir etwas in die Hand, drehte sich um und ging zu dem Taxi, das gerade gekommen war.
«Also dann. Montag um acht», sagte er. Stieg ein. Und war verschwunden.
Ich stand auf der Straße. Betrachtete gerührt den kleinen Stapel Karteikarten in meinen Händen, auf denen sich Dr. med. Daniel Hofmann mögliche Gesprächsthemen für unseren Abend notiert hatte.
Montag. Um acht.
Ich war der glücklichste Mensch der Welt.
18 : 42
Ich schätze, ich bin der unglücklichste Mensch der Welt. Habe mich gerade auf meinen winzigen Balkon gezwängt, der um diese Jahreszeit genau von 18 Uhr 40 bis 18 Uhr 52 in der Abendsonne liegt. Doch ihre Strahlen können mein fröstelnd Herz nicht wärmen.
Uh! Schlanke Mädchen mit langen Beinen schlendern lachend durch die Straße, um sich mit Jungs zu treffen, die weiße T-Shirts tragen und sich beim Essen ihren Kaugummi auf den Handrücken kleben.
Ich hasse den Sommer. Den Frühling übrigens auch.
Im Herbst und Winter ist es ganz normal, wenn man sich einsam und deprimiert fühlt. Keiner würde einem deswegen Vorwürfe machen. Aber im Sommer! Da muss man fröhlich sein und braun an den Beinen. Aus vorbeifahrenden Cabrios werden arglose Passanten mit Remixen von Modern Talking beschallt oder mit der Single-Hit-Collection von Phil Collins belästigt.
Das bringt mich auf ein interessantes Phänomen: wie sich männliche Fahrgewohnheiten mit den Jahreszeiten verändern.
Wenn’s draußen kalt ist, lassen sie ihre Motoren aufheulen und geben Gas wie die Irren. Mit neunzig durch die Straße – die, in der ich wohne, hat übrigens Kopfsteinpflaster, und wenn so eine tiefergelegte Karre drüberbrettert, klingt das, als würde ein Sondereinsatzkommando das Nachbarhaus unter M P-Beschuss nehmen.
Im Sommer lassen sie ihre Autodächer zu Hause, kurbeln ihre Fenster bis zum Anschlag runter, drehen ihre Stereoanlagen mit C D-Wechsler bis zum Anschlag auf und kriechen so langsam vorbei, dass man einen vollständigen und erschreckenden Eindruck von ihrem Musikgeschmack bekommt.
Neulich hörte einer, als er seinen roten, offenen Japaner (ich erkenne bloß BMW, Mercedes, Porsche und V W-Golf – alles andere nenne ich aus Verlegenheit Japaner) in eine Parklückedirekt unter meinem Fenster einparkte, einen Zusammenschnitt sämtlicher Wolfgang-Petry-Singles.
Ich meine, so jemandem müsste man doch die Fahrerlaubnis entziehen und das Wahlrecht. Dann blieb der Typ auch noch in seinem Auto sitzen! Fünf Minuten Wolfgang Petry.
«Du bist ein Wunder, so wie ein Wunder, ein wunder Punkt in meinem Leben.»
Ich war drauf und dran, die Ordnungshüter zu alarmieren.
«Sie hieß Jeheheessica. Einfach Jehehessica.»
Ich linste vorsichtig vom Balkon auf die Straße. Der Kerl im Japaner sah aus wie einer, dessen Freundin Jehehessica heißt.
«Es gilt für dich, mein Leben, wenn ich dich nur haben kann! Dafür steh ich grade, dafür will ich lebenslang.»
Gerade überprüfte er im Rückspiegel den Sitz seines Netz- T-Shirts . Ich konnte erkennen, dass auf seinem Nacken sehr viele, sehr schwarze Haare wuchsen. Bäh. Wahrscheinlich hatte sich der arme Mann noch nie von hinten gesehen. Im Grunde sah er aus wie Wolfgang Petry selbst. Schwarzer Oberlippenbart und eine Jeans, so eng, dass man sie nur als Potenz-Protzerei-Hose bezeichnen konnte.
«Das ist mir scheißegal, ich will dich Stück für Stück in jedem Augenblick.»
Jetzt sprühte er sich eine Ladung Odol-Mundspray in den Rachen. (Ich konnte das von weitem erkennen, benutze es selbst ab und an.)
«Der Mond ist heute voll, und leider bin ich’s auch. Heute Nacht will ich zu dir!»
Dann war Ruhe.
Arme Jessica. Wie kann sie sich von einem Mann küssen lassen, der aus dem Fang riecht, wie einer, der was zu verbergen hat, und eine Jeans trägt, die keine Fragen, aber viele Wünsche offenlässt?
Wolfgang Petry stapfte breitbeinig davon, nicht ohne sich alle sieben Meter mit dieser typisch fahrigen «Arsch-essen-Hose-auf»-Bewegung ans Hinterteil zu greifen.
Es ist ebenfalls ein interessantes Phänomen, wie leicht man Unerträgliches lieb gewinnen kann, wenn man nur lang andauernd genug damit konfrontiert wird. Das gilt natürlich nicht für Männer, die sich vor dem Spiegel im Flur die Nasenhaare schneiden, oder für Mütter, die einen einmal in der Woche mit bebender Stimme fragen, ob man endlich jemanden kennengelernt habe.
Als ich zwei Wochen später zu einem
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