MondSilberLicht
mich …“ Er zögerte.
„Hhm?“
„Ob du es mir schenken würdest?“
Ich sah ihn an. Meinte er das ernst?
„Ich würde es gern in mein Zimmer hängen.“ Seine Stimme klang nervös.
„Klar, wenn es dir gefällt“, antwortete ich, meinerseits verlegen über sein unerwartetes Lob.
Er nahm einen weißen Rahmen, betrachtete ihn kurz und legte ihn zur Seite. Dann bahnte er sich einen Weg zu dem Stapel Bilderrahmen und kramte eine Weile darin herum. Schließlich zog er einen schlichten hellgrauen Holzrahmen hervor und betrachtete ihn zufrieden. Das Bild erfuhr dieselbe Sorgfalt wie das Porträt meiner Mutter.
Ich saß daneben, schwieg und hing meinen Gedanken nach.
„Es ist spät“, sagte er, als er fertig war. „Die anderen Bilder rahme ich dir ein anderes Mal, wenn du möchtest?“
„Wenn ich dir zuschauen darf?“
„Gern.“
Er umfasste meine Taille und hob mich von der Werkbank. Mein Körper kribbelte von seiner Berührung. Er ließ mich auf den Boden gleiten und seine unmittelbare Nähe brachte mich wie immer durcheinander. Ich musste mich beherrschen, um meinen Kopf nicht an seine muskulöse Brust zu lehnen, die mir so nah war. Da trat er beiseite und griff nach den Bildern.
„Zeit fürs Abendessen.“
Schweigend liefen wir ins Haus. Der Abstand, den er hielt, musste beabsichtigt sein. Sophie und Dr. Erickson bewunderten die beiden gerahmten Bilder.
„Ich wollte dir noch das Porträt deiner Mutter zeigen, das ich gemalt habe“, sagte Dr. Erickson.
Calum und ich folgten ihm in den Nebenraum, der sich als eine Art Bibliothek entpuppte, obwohl diese Bezeichnung auf das ganze Haus zutraf. An den Wänden standen Bücherregale, die bis zu der dunkelblauen Decke reichten, und auf den Tischchen, die im Raum verteilt standen, lagen ebenfalls stapelweise Bücher. Gemütliche Sessel, die mit kariertem Stoff überzogen waren, und Leselampen vervollständigten die Einrichtung.
Während Dr. Erickson in seinen Zeichenmappen kramte, trat Calum neben mich.
„Seine Familie sammelt seit Ewigkeiten alte Bücher. Du findest hier Schätze, für die mancher Sammler ein Vermögen ausgeben würde. Er hat unzählige Erstausgaben.“
Jetzt staunte ich noch mehr.
„Ah, hier ist es“, rief Dr. Erickson und zog ein vergilbtes Blatt aus einer der Mappen.
Er hielt es unter eine Lampe und wir traten neben ihn. Es war eine Bleistiftzeichnung.
„Sie muss ungefähr so alt gewesen sein wie du heute. Sie kam oft zum Malen zu uns. Ich zeigte ihr verschiedene Techniken. Sie war talentiert.“
Verdutzt sah ich ihn an. Meine Mutter hatte gezeichnet. Calum sah mich an und drückte mich sanft in einen der Lesesessel.
„Sie hat mir das nie erzählt.“ Ich sah Dr. Erickson an.
„Das sieht ihr ähnlich, sie wollte damals alles hinter sich lassen. Ich glaube nicht, dass das richtig war. Aber sie war stur. Wenn sie eine Entscheidung getroffen hatte, ließ sie sich nicht davon abbringen.“
Ich wusste genau, was er meinte.
Er drehte sich zu seinen Mappen. „Ich habe noch das letzte Bild, das sie bei uns gemalt hat. Es ist im Grunde fertig, sie wollte noch ein paar Kleinigkeiten verbessern. Sie war in diesen Dingen sehr perfektionistisch.“
Er zog ein Blatt heraus und ich starrte auf ein Bild, das zu echt aussah, als dass es gezeichnet sein konnte. Es zeigte den Garten der Ericksons in voller Pracht. Jede einzelne Blume war liebevoll gemalt. Die alte, mit Efeu überzogene Werkstatt wirkte so natürlich, dass man glauben konnte, gleich würde jemand durch das Bild laufen und die Tür aufziehen.
„Du kannst es haben, es gehört jetzt dir.“
Ich schluckte.
Calum setzte sich auf die Lehne des Sessels und nahm meine Hand.
„Abendessen“, drang da Sophies Stimme durch die Tür. Erleichtert verließ ich den Raum, der so voller Erinnerungen an meine Mutter war.
„Ich sollte mich langsam auf den Weg machen“, sagte ich nach dem Abendessen zögernd.
„Es ist spät geworden“, erwiderte Sophie.
„Calum, bring Emma bitte nach Hause, wir können sie nicht mehr allein gehen lassen.“
„Was soll hier schon passieren?“, entgegnete ich halbherzig und hoffte, dass Calum mich begleiten würde.
Er reagierte nicht auf meinen Einwand und nahm das gerahmte Bild vom Tisch.
„Gehen wir?“
„Es war schön“, bedankte ich mich bei den Ericksons.
„Komm uns bald wieder besuchen.“ Lächelnd verabschiedeten sich die beiden von mir.
Still liefen wir nebeneinander her.
„Du fragst dich, welche Geheimnisse deine Mutter noch vor dir hatte, oder?“,
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