MondSilberLicht
neugierig, als wir Seite an Seite in Richtung Wald liefen.
„Lass dich überraschen“, antwortete er. Schweigend liefen wir nebeneinander her.
„Wie war dein Wochenende?“, fragte er.
„Oh. Es zog sich. Ich war froh, als endlich Montag war“, plapperte ich drauflos.
„Hast du dich auf die Schule gefreut?“ Er schaute mich von der Seite an.
Was sollte ich darauf erwidern? Dass ich es nicht aushalten konnte, ihn wiederzusehen? Ich zuckte mit den Schultern. Zum Glück fragte er nicht weiter. Ich konnte ihm unmöglich eine Antwort geben, schließlich wollte ich ihn nicht verschrecken.
Im Wald wurde es kühler. Ich fröstelte und bekam eine Gänsehaut.
„Du hättest dir eine Jacke mitnehmen sollen“, erklärte Calum missbilligend.
„Du hättest mir sagen können, dass wir in den Wald gehen“, antwortete ich schnippisch.
„Hm.“ Ernst musterte er mich.
Dann zog er aus seiner Gitarrentasche einen dünnen Wollpullover. Ich schlüpfte hinein und mir wurde angenehm warm.
Hatte ich ihn verstimmt? Bereute er, dass er angeboten hatte, mit mir zu üben? Abschätzend blickte ich ihn von der Seite an, konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Auf jeden Fall wirkte er angespannt. Das konnte heiter werden.
„Jetzt mach es nicht so spannend. Sag, ist es noch weit?“, fragte ich, um das Schweigen zu brechen.
„Da vorn ist eine kleine Lichtung mit einem winzigen Teich. Es ist ganz ruhig und schön dort. Ich komme öfter her und bin nie gestört worden. Die Leute aus dem Ort gehen nicht in den Wald. Sie sind abergläubisch“, antwortete er.
Verständnislos schüttelte ich den Kopf. „Was soll es hier im Wald geben? Trolle, Elfen, Werwölfe?“
„Ja, so etwas Ähnliches denken sie wohl. Es gibt in Schottland viele alte Mythen und du solltest dich nicht darüber lustig machen. Meist steckt etwas Wahres in diesen Geschichten. Auch wenn du nicht an diese Dinge glaubst … manchmal kann es gefährlich sein, in den Wald zu gehen.“
Da hatte ich wohl etwas Falsches gesagt. Seine Lippen bildeten einen harten Strich.
Ich kam nicht dazu zu antworten. Wir hatten die Lichtung erreicht. Stille umhüllte mich wie ein seidenweiches Tuch. Der Wind, der leise in den hellgrünen Blättern der Birken und in den Tannen raschelte, fuhr sanft über das Wasser, das in kleinen Wellen ans Ufer schlug.
Schweigend beobachtete Calum mein Gesicht, während ich alles betrachtete.
„Hab ich zu viel versprochen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Man könnte glauben, dass winzige Feen zwischen den Bäumen hervorgeflattert kommen. Es sieht aus wie in einem Märchen, ein verwunschener Ort.“
Schweigend betrachteten wir das Wasser.
„Als ich klein war, ist meine Mutter oft mit mir zum Wandern gefahren. An schönen Wochenenden, wenn sie nicht arbeiten musste, fuhren wir gemeinsam in einen der Nationalparks“, erinnerte ich mich. „Stundenlang liefen wir durch die Wälder. Wir grillten Würstchen und warfen Kartoffeln in die Glut. Ich verbrannte mir oft die Finger, weil ich zu gierig war, um zu warten, bis die Kartoffeln abgekühlt waren.“
Den Geruch des brutzelnden Fleisches und der mehligen, verkohlten Kartoffeln konnte ich jetzt, wo ich daran zurückdachte, beinahe riechen.
Calum schwieg.
„Wenn es dunkel wurde, hat sie mir von Elfen, Nixen, Faunen oder Wassermännern erzählt. Legenden von Kriegen, Liebe, Eifersucht und Tod. Ich liebte es und konnte nie genug davon bekommen. Sie hatte einen unendlichen Vorrat Geschichten im Kopf.“
Ich lächelte bei den Erinnerungen vor mich hin und sah Calum an. Sein Blick war ernst.
„Entschuldige“, stotterte ich verlegen, „es fiel mir erst wieder ein.“
„Erzähl weiter“, forderte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
„Wenn sie erzählte, klang ihre Stimme viel wärmer als sonst. Ich glaubte, die Elfen im Feuer tanzen zu sehen. Immer wieder musste sie dieselben Geschichten erzählen. Oft hatte sie danach Tränen in den Augen, die sie heimlich wegwischte. Ich habe es nicht verstanden, jetzt glaube ich, dass sie Heimweh hatte. Zum Einschlafen habe ich mich im Zelt an sie gekuschelt, da ihre Traurigkeit mir Angst machte. Als ich älter wurde, wurden die Ausflüge weniger und damit ihre Märchen. Ich habe lange nicht daran gedacht. Dieser Ort hier … so hat sie mir Schottland immer beschrieben.“
Calum nickte und ohne ein weiteres Wort setzte er sich ins Gras und begann seine Gitarre und seine Noten auszupacken. Zu meiner Erleichterung war sein Blick weich.
„Komm, setz dich zu mir.
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