MondSilberLicht
an diese Möglichkeit wollte ich nicht denken. In einem Anflug von Übereifer schrieb ich in der nächsten Stunde jeden Gedanken auf, der mir jemals zu Oberon, Helena, Lysander, Demetrius und Hermia in den Sinn gekommen war. Zum Schluss speicherte ich mein Werk ab, ohne noch einmal drüber zu lesen.
Ich sah auf die Uhr. Es war mittlerweile halb acht, also beschloss ich, meine mir selbst auferlegte Isolation aufzugeben und in die Küche zu gehen. Anstatt Lärm, wie sonst, empfing mich nur leises Gemurmel. Die Anspannung war mit den Händen zu greifen und sofort spürte ich dieses flaue Gefühl im Magen, das mich die letzten Wochen selten verlassen hatte.
Bree hatte, vielleicht um mich oder sich zu beruhigen, mein Lieblingsessen gekocht. Es gab Gemüseauflauf und zum Nachtisch Rhabarber-Crumble. Es schmeckte lecker, aber alle stocherten mehr oder weniger appetitlos in dem köstlichen Essen herum. Selbst auf Hannah und Amber hatte sich die allgemeine Nervosität übertragen, obwohl wir uns hüteten, vor ihnen allzu offen zu sprechen.
Nach dem Essen half ich Bree die Küche aufzuräumen und verzog mich dann in mein Zimmer. Für weitere Belehrungen und Gespräche fehlten mir die Nerven. Ich zog mich um und schlüpfte nach einem kurzen Gang ins Bad in mein Bett. Ich glaubte nicht wirklich, dass Calum kommen würde. Aber da die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, blieb ich lange wach. Ich wälzte mich von einer Seite auf die andere, bis ich erschöpft einschlief.
Ich wurde wach, als sich sein warmer Körper unter der Decke an mich schmiegte.
„Schlaf weiter“, flüsterte er leise.
Mit geschlossenen Augen sog ich den Duft seiner Haut ein und meine Lippen suchten seinen Mund. Meine Hände strichen über die Muskeln auf seinem Rücken. Ich presste mich an ihn, um ihn nie wieder loszulassen. Ich wollte nicht reden. Wer wusste schon, ob das nicht das letzte Mal sein würde. Calum schien dasselbe zu fühlen wie ich, denn auch er sagte kein Wort. Er hielt mich fest und unsere Herzen verschmolzen miteinander. Viel zu schnell gab er mir einen letzten Kuss, stand auf und verschwand.
Ich versuchte, seinen Duft und seine Wärme festzuhalten, dann überließ ich mich wieder dem Schlaf.
Es dämmerte, als es leise gegen meine Tür klopfte. Ich strich mir die zerzausten Haare aus dem Gesicht und stand auf. Das würde der wichtigste Tag meines Lebens sein. Ich atmete tief durch. Amelie lehnte draußen im Flur an der Wand und lächelte mich an. Sie schob mich ins Bad und machte sich, nachdem ich geduscht hatte, daran, mich zu verschönern. Erst zupfte sie meine Augenbrauen, trug Make-up und zum Schluss ein wenig Lipgloss auf. Nach dieser Prozedur sah ich frisch und mutig aus. Wenigstens äußerlich konnte ich jedem etwas vormachen.
„Du siehst wunderschön aus“, bekannte sie, als ich angezogen vor ihr stand.
Sie kämmte mein Haar, bis es seidenweich und glänzend an meinem Rücken herunterfiel.
Die letzten Minuten vor der Abfahrt ließ sie mich allein in meinem Zimmer. Ich stand vor dem Bild meiner Mutter und hielt ein stummes Zwiegespräch mit ihr. Wie sehr ich sie jetzt gebraucht hätte. Wie ich wünschte, sie hätte diese Chance gehabt. Ich küsste meine Fingerspitzen und drückte sie sanft auf das Bild. Es würde kein Abschied für immer sein. Daran musste ich glauben.
Ethan, Bree und Amelie standen im Flur, um uns zu verabschieden. Einer nach dem anderen nahmen sie Peter und mich in den Arm. Bree hielt Peter so fest, als ob sie ihn nicht loslassen wollte. Nur langsam löste er sich von ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Ich komme wieder, Ma, versprochen.“
Tränen glitzerten in ihren Augen.
Schnell liefen wir zum Auto, das gerade vorfuhr. Ethan drückte Calum und Dr. Erickson zum Abschied die Hand.
Calum und ich saßen auf dem Rücksitz und hielten uns an den Händen, während wir durch die Highlands fuhren. Wolken hingen am grauen Himmel. Von dem warmen Tag gestern spürte man nichts mehr. Es war, als ob der Himmel uns ein Omen senden wollte, als es zu regnen begann. Wäre der Anlass nicht so ernst gewesen, hätte ich mehr Sinn für die wunderschöne Umgebung gehabt. So flossen die Worte von Dr. Erickson, der jeden Berg, jeden See und jedes Haus zu kennen schien, an mir vorbei.
Unablässig rauschte das Geräusch der Scheibenwischer durch meine Gedanken.
Jede Meile, die uns näher an unser Ziel brachte, legte sich wie ein Ring um mein Herz. Ich merkte, dass ich Calums Hand zu fest umklammerte, doch er lächelte mich
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