Mondspiel: Novelle (German Edition)
alles, was sie hatte – ich und die Band und Brenda, wenn die nicht gerade mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen hatte. Als Vivian herausfand, dass sie schwanger war, ist sie ausgeflippt, total ausgerastet. Sie konnte nicht damit umgehen und hat mich um Erlaubnis gebeten, abzutreiben, aber ich wollte eine Familie. Ich dachte, nach der Geburt würde sie ihre Meinung ändern. Ich habe sie geheiratet und ihr versprochen,
wir würden ein Kindermädchen einstellen, das sich um die Babys kümmert, während wir mit der Band auf Tour gehen.«
Dillon ging voraus, als sie aus dem dichten Wald auf die blanken Klippen über dem Meer traten. Sofort peitschte ihm der Wind das Haar ins Gesicht. Instinktiv schützte er Jessicas Körper mit seinem. »Ich habe Rita eingestellt, damit sie sich um die Kinder kümmert, und wir sind losgezogen. Wir sind einfach fortgegangen.« Nachdenklich sah er sie an und führte ihre Hand an seine Lippen.
Jessica erschauerte und fühlte, wie tief in ihrem Unterleib geschmolzenes Feuer sprudelte. Sie konnte das Schuldbewusstsein und die Reue in seiner Stimme hören und zwang sich, beim Thema zu bleiben. »Die Band kam gerade ganz groß raus.«
»Nicht gleich, aber der Aufschwung hatte begonnen.« Er streckte eine Hand aus und, weil er es einfach nicht lassen konnte, griff er in ihr leuchtendes, rotgoldenes Haar. »Ich wollte es so sehr, Jess, das Geld, das gute Leben. Ich wollte mir nie Sorgen machen müssen, ob wir ein Dach über dem Kopf haben oder woher die nächste Mahlzeit kommt. Im Lauf der folgenden drei Jahre haben wir hart gearbeitet. Wenn wir nach Hause kamen, hat Vivian den Zwillingen ganze Säcke voller Geschenke mitgebracht, aber sie wollte sie nie anfassen oder mit ihnen reden.« Er ließ ihre seidigen Strähnen durch seine Finger gleiten. »Als die Zwillinge vier Jahre alt waren, hatte die Band rasenden Erfolg, aber wir waren alle total kaputt.« Abrupt ließ er sie los.
»Ich erinnere mich noch daran, wie sie mit Geschenken kam.« Jessica zitterte ein wenig, denn sie fühlte sich plötzlich ganz allein. »Vivian hat sich von uns und den
Zwillingen ferngehalten. Sie kam nicht oft nach Hause.« Dillon war ohne sie zu Besuch gekommen, denn Vivian war die meiste Zeit lieber mit den anderen Bandmitgliedern in der Stadt geblieben.
Der Wind brachte vom Meer einen eigentümlichen Nebel mit, dicht und nahezu drückend. Der Hund blickte mit einem tiefen Knurren auf die stampfenden Wellen hinaus. Das Geräusch jagte Jessica einen Schauer über den Rücken, doch als Dillon mit den Fingern schnalzte, verstummte das Tier.
»Nein, nicht oft.« Dillon zog sein Jackett aus und half ihr hinein. »Sie war immer so zart, so anfällig für fanatisches Gedankengut. Ich wusste, dass sie trank. Himmel nochmal, wir haben doch alle getrunken. Damals waren Partys am laufenden Band eine Lebensform. Brian ist auf seltsame Praktiken abgefahren, zwar nicht gerade Teufelsanbetung, aber die Anrufung von Geistern und Göttern und Mutter Erde. Du weißt ja, wie er sein kann, er hat ständig diese blödsinnigen Sprüche drauf. Das Problem war, dass Vivian ihm alles aufs Wort geglaubt hat. Ich habe nicht weiter darauf geachtet, ich habe die beiden nur ausgelacht. Damals war mir nicht klar, dass sie ernsthaft krank ist. Später haben die Ärzte mir gesagt, sie sei bipolar, aber zu der Zeit dachte ich, das gehörte alles zu der Branche, in der wir waren. Das Trinken, sogar die Drogen – ich dachte, sie würde sich schon wieder beruhigen, wenn sie von dem Zeug runterkommt. Mir war nicht klar, dass sie sich ständig Pillen besorgt hat. Aber ich hätte es merken müssen, Jess, ich hätte die Anzeichen erkennen müssen, die Stimmungsschwankungen und die plötzliche Veränderung in ihrem Denken und Verhalten. Ich hätte es wissen müssen.«
Seine Hände legten sich plötzlich um ihr Gesicht. »Ich habe gelacht, Jess, und während ich über diese albernen Zeremonien gelacht habe, ging es mit ihr bergab, und sie ist geradewegs in den Wahnsinn abgestürzt. Die Drogen haben ihr den Rest gegeben, und sie hatte einen schizophrenen Zusammenbruch. Als ich begriffen habe, wie schlimm es wirklich um sie stand, war es zu spät, und sie hat versucht, dich zu verletzen.«
»Du hast sie in Rehakliniken gesteckt – wie hättest du wissen können, was bipolar überhaupt ist?« Sie erinnerte sich noch deutlich daran. »Niemand hat dir in diesem letzten Jahr, während ihr auf Welttournee wart, gesagt, wie schlimm es um sie stand. Du
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