Mondspiel: Novelle (German Edition)
gesagt, ich soll einen Ersatz für ihn finden.«
Mit größter Behutsamkeit lehnte sie die Gitarre an die Wand. »Ich werde nicht für ihn einspringen. Ich kann nicht so spielen, wie du es willst. Mir fehlt die nötige Erfahrung. Und selbst wenn ich es täte, das ist ein Männerverein. Die wenigsten Musiker wollen zugeben, dass eine Frau Gitarre spielen kann.«
»Du hast die Erfahrung. Ich helfe dir«, versprach er. »Und die Band will, dass es ein Erfolg wird. Sie würden alles tun, damit es weitergeht.«
Sie schüttelte den Kopf und wich vor ihm zurück.
Dillons Lächeln ließ sein Gesicht strahlend, jungenhaft, charmant und absolut unwiderstehlich wirken. »Machen wir einen Spaziergang?«
Es war schon spät, und draußen war es dunkel. Sie hatte seit einiger Zeit nicht mehr nach den Zwillingen gesehen, aber die Versuchung, noch mehr Zeit mit Dillon allein zu verbringen, war zu groß. Sie nickte.
»Dort drüben gibt es noch eine zweite Tür.« Er zog ihr seinen Pullover, den er vor Tagen achtlos zur Seite geworfen hatte, über den Kopf, schlüpfte in sein Jackett, öffnete die Tür und ließ ihr den Vortritt. Er stieß einen leisen Pfiff aus, und der Schäferhund, der Jessica und die Zwillinge bei ihrer Ankunft so grob begrüßt hatte, kam angerannt.
Die Nacht war frisch, die Luft dunstig und salzig. Sie schlugen einen schmalen Wildpfad ein, der sich durch die Bäume wand, und da sie dicht nebeneinander herliefen,
berührten sich ihre Hände gelegentlich. Als ihre Hand in seiner lag, hätte Jessica nicht sagen können, wie es dazu gekommen war.
Sie blickte zu ihm auf, und ihr stockte der Atem. Ihr Herz flatterte und schlug rasend schnell vor Glück. Aber es hieß jetzt oder nie. Wenn sie die Luft zwischen ihnen jetzt nicht bereinigte, würde er für sie verloren sein. »Wie bist du eigentlich an Vivian geraten? Sie schien nicht zu dir zu passen.«
Sie liefen schweigend weiter, bis sie schon glaubte, er würde ihr nicht antworten, doch dann atmete er langsam aus.
»Vivian.« Dillon fuhr sich mit der freien Hand durch sein schwarzes Haar und sah auf sie hinunter. »Warum ich Vivian geheiratet habe? Das ist eine gute Frage, Jess, und ich habe sie mir selbst schon hundertmal gestellt.«
Über ihnen spannte sich ein Baldachin von Bäumen. Eine sanfte Brise ließ das Laub rascheln. »Dillon, ich habe nie verstanden, warum du sie dir ausgesucht hast. Ihr beide wart so verschieden.«
»Ich habe Vivian mein Leben lang gekannt, wir sind in derselben ärmlichen Siedlung aufgewachsen. Wir hatten nichts, keiner von uns, weder Brian noch Robert oder Paul. Und Viv schon gar nicht.Wir hingen ständig miteinander rum, haben unsere Musik gespielt und große Träume gehabt. Sie hatten es beide schwer im Leben, sie und Brenda. Ihre Mutter war Alkoholikerin, die jede Woche einen neuen Mann hatte. Du kannst dir ja vorstellen, wie das Leben von zwei kleinen Mädchen aussah, die in dieser Umgebung schutzlos aufgewachsen sind.«
»Sie hat dir leidgetan.« Es war keine Frage.
Dillon zuckte zusammen. »Nein, dann stünde ich als edelmütig da, und das bin ich nicht, Jess, ganz gleich, wie
gern du mich so sehen möchtest. Ich habe mir sehr viel aus ihr gemacht, ich dachte sogar, ich würde sie lieben. Verdammt, ich war achtzehn, als wir zusammengekommen sind. Ich wollte sie beschützen und für sie sorgen. Ich wusste, dass sie keine Kinder wollte. Ihr und Brenda hat es davor gegraut, ihre Figur zu verlieren und sitzengelassen zu werden. Ihre Mutter hat ihnen vorgehalten, es sei ihre Schuld, dass die Männer immer fortgingen, denn die Mädchen hätten ihre Figur ruiniert. Haben sich ihre Liebhaber an ihre Töchter rangemacht, hat sie den Mädchen sogar eingeredet, sie seien selbst daran schuld, denn es sei doch wohl klar, dass sie den Männern lieber waren. « Er fuhr sich wieder mit der Hand durchs Haar. »Das habe ich schon gehört, als wir noch Kinder waren. Ich habe Vivian sagen hören, sie würde nie ein Baby bekommen, aber vermutlich wollte ich nicht begreifen.«
Sie liefen schweigend weiter, bis Jessica merkte, dass sie in stummem, gegenseitigem Einvernehmen den Weg zu den Klippen eingeschlagen hatten. »So viele Geister aus der Vergangenheit«, stellte sie fest, »und keinem von uns ist es gelungen, sie zu begraben.«
Dillon hob ihre Hand und legte sie direkt über seinem Herzen auf seine warme Brust. »Du hast ganz anders gelebt als wir, Jess, du kannst das nicht verstehen. Vivian hatte nie eine Kindheit. Ich war
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