Mondsplitter
ging zu seinem Platz hinüber. Er hatte das Telefon am Ohr, hörte zu, machte sich Notizen. Sie blieb neben ihm stehen und wartete. Er blickte zu ihr auf, gab ihr ein Zeichen, sie möge noch etwas Geduld haben, bat dann bei erster Gelegenheit die Person am anderen Ende der Leitung, sie möge warten.
»Ja, Saber«, sagte er, »was kann ich für Sie tun?«
»Herr Präsident«, sagte sie, betonte das Wort wirkungsvoll und machte damit alle ringsherum auf sich aufmerksam, »ich möchte Ihnen viel Glück wünschen.«
Damit zündete sie so etwas wie eine Explosion. Stimmte es? Hatte man Henry Kolladner gefunden?
Als Charlie die Nachricht zum ersten Mal gehört hatte, war ihm der Gedanke durch den Kopf gegangen, ob Henry nicht vielleicht glücklich zu schätzen war. Wahrscheinlich hatte nur so seine Reputation überleben können. Jetzt nahm Charlie die Glückwünsche entgegen, umarmte Evelyn und Saber und schüttelte Keith und dem Kaplan die Hände. Dann klemmte er sich wieder ans Telefon.
Saber versuchte, irgendwo etwas Privatsphäre für ihn zu organisieren, aber die einzigen zugänglichen Sektionen an Bord waren die Kombüse und die Toilette. Die Kombüse bot nicht sonderlich viel Privatsphäre, und der Toilette mangelte es an Ambiente. Der neue Präsident mußte sich also mit seinem Platz in der Passagierkabine bescheiden. Er bat nur Keith Morley darum, nichts von dem, was er hier mithörte, ohne ausdrückliche Erlaubnis zu verwenden.
Saber kehrte aufs Flugdeck zurück und hörte wenig später, wie die Luke aufging. Das lächelnde Gesicht des Kaplans tauchte dort auf. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus«, sagte er. »Ich habe mich gefragt, ob ich mir mal ansehen könnte, wie diese Kiste funktioniert.«
Sie gab ihm mit einem Wink zu verstehen, er solle sich auf dem Platz des Copiloten anschnallen.
Er blickte zur leuchtenden Erde hinaus. Nach ein paar belanglosen Bemerkungen wurde er still und nachdenklich. »Das Universum wirkt sehr neutral«, sagte er schließlich.
»Wie meinen Sie das?«
»Ist aber nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.«
»Natürlich nicht.«
»Sind Sie gläubig?«
Sie dachte darüber nach. »Ich weiß nicht, Kaplan. Vermutlich nicht.«
Er nickte. »Ich kann nicht glauben, daß Jesus zulassen würde, was diese Nacht passiert ist. Nicht der Jesus, den ich kenne.« Saber wußte nicht recht, wie sie reagieren sollte, verstand aber, daß diese Bemerkung keiner Reaktion bedurfte. »Sagen Sie mir, Saber«, bat er einen Augenblick später, »gibt es Leben auf dem Mars?«
»Ja«, sagte sie und fragte sich, worauf er hinauswollte. »Allerdings von primitiver Art.«
Der Kaplan nickte. »Ist egal, wie primitiv. Die Bedingungen gestatten nun einmal so viel und nicht mehr. Anderswo liegen günstigere Bedingungen vor, nicht wahr? Strände wie in der Karibik. Kühle, feuchte Täler. Wellige Ebenen. Andere Schottlands existieren irgendwo dort draußen.«
»Ja«, sagte sie. »Ich denke, das ist wohl so. Anders wäre es unvorstellbar.«
»Oh, es ist durchaus vorstellbar, daß wir allein sind. Ich kann es mir vorstellen, und ich wünschte, es wäre so.«
»Warum?« fragte sie. Jeder, den sie je kennengelernt hatte, hatte sich einen Erfolg gewünscht, was die Suche nach außerirdischen Lebensformen, außerirdischen Zivilisationen anbetraf. Saber war schockiert von der Vorstellung, daß sich irgend jemand, wer auch immer, ein leeres Universum wünschte.
»Weil dann die Geschichte von Jesus Sinn ergäbe. In einem Universum wie unserem jedoch, wo wir Millionen Lebensformen wie uns vermuten, scheint sein Opfer auf die Natur der Dinge kaum anwendbar.« Der Kaplan schüttelte den Kopf. »Entweder hat die Kreuzigung sie alle gerettet oder nicht. Falls alle errettet wurden, sollen wir glauben, daß Er aus all den Welten unsere für Seine Demonstration ausgesucht hat.«
Sie hörte seine Zweifel heraus, die aus irgendeiner lange blockierten inneren Quelle hervorsprudelten. Sie hörte die großgeschriebenen Pronomen heraus, sein Flehen um ein Eingreifen. »Hat die Kreuzigung aber nicht jeden gerettet, muß sie in der einen oder anderem Form unzählige Male an unzähligen Orten stattfinden. Was wird dann aus Seiner Agonie, aus Seinem besonderen Opfer für uns?«
Sie dachte etliche Minuten darüber nach. »Ich habe die Logik der Kreuzigung nie verstanden«, sagte sie schließlich. »Vielleicht ist der entscheidende Punkt einfach der, daß er zu uns gekommen ist.«
2.
Skyport, Mo’s Restaurant,
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