Mondsplitter

Feinberg.
    »Vertrauen Sie mir, Wes«, sagte Carpenter. »Die Raumfähre wird an ihrem Anker zerren. Mit vollem Schub. Falls sie losbricht …« Er zuckte die Achseln. »Die Mabry ist nicht sehr hübsch, aber bei ihr ist viel wahrscheinlicher, daß sie auch zurückkommt.«
     
     
Am Chattahoochee, 16 Uhr 01
     
    Was als Spaß begonnen hatte, hatte sich zu einer grausigen Notwendigkeit entwickelt. Steve wußte, daß es keine Kunst war, Jack mit der Legion in Verbindung zu bringen und auf diesem Weg mit ihm. Der einzig wirkliche Schutz für ihn bestand jetzt darin, die Polizei auszulöschen und den Staat zu zerstören, der seine Schläger losschickte, um unschuldige Bürger zu hetzen. Eigentlich war ihm klar, daß er in diesem Fall vielleicht gar nicht so unschuldig war. Er hatte jedoch nur getan, was er tun mußte.
    Und den Staat zerstörte er, indem er eine der Raumfähren herunterholte.
    Er hatte bislang drei Starts gezählt. Immer noch reichlich Zeit, den Job zu erledigen. Sie waren jetzt mehrere Meilen südwestlich des Flusses und strapazierten allmählich die Reichweite der Cobra, ohne daß sie schon eine Abschußposition entdeckt hätten. Steve überlegte sich allmählich, daß sie vielleicht einfach parken, ihre Chance abwarten und dann das Raumschiff mitten von der Straße aus abschießen sollten. Wer würde schon versuchen, zwei bewaffnete Männer aufzuhalten? Dann entdeckte er die Munson-Leichenhalle.
    Sie erhob sich auf einer leichten Anhöhe knapp fünfzig Meter von der Straße. Etwa dreißig Fahrzeuge standen auf dem angrenzenden Parkplatz, und ein paar Leute waren vor der Haustür versammelt. Ein zweiter Parkplatz hinter dem Haus war leer, von einem Kombi und einer schwarzen Limousine abgesehen. Leicht abgeschirmt wurde das Grundstück von einer Baumreihe ringsherum. Gerade genug, um sie zu tarnen.
     
     
Flughafen Hartsfield, Sicherheitsbüro, 16 Uhr 03
     
    »Die Polizei auf Leitung drei, Mr. Martin.«
    Rob Martin runzelte die Stirn und nahm ab. »Sicherheit. Womit kann ich Ihnen helfen?«
    »Hallo, Rob.«
    Er erkannte die Stimme gleich. Sie gehörte Oscar Tate, einem ehemaligen FBI-Agenten, der jetzt Kripochef von Fulton County war. »Yeah, Oscar, was hast du für ein Problem?«
    »Zwei Miliztypen. Wir denken, daß sie einen Raketenwerfer dabeihaben. Sie könnten versuchen, eine eurer Raumfähren herunterzuholen.«
    »Da haben sie sich ja einen tollen Zeitpunkt ausgesucht.«
    Martin konnte das Achselzucken fast hören. »Bei Verrückten weiß man nie. Na ja, wenn mich einer fragt …« Er brach ab.
    »Yeah. Danke, Oscar. Sag uns Bescheid, wenn du diese Typen zu fassen kriegst, okay?«
    Er blickte zu dem Foto der Delta 787 hinauf, das über seiner Couch hing. Dann wechselte er auf eine andere Leitung. »Janet«, sagte er, »verbinden Sie mich mit Wolfy, drüben bei der MVB.«
     
     
Hartsfield, Leitstelle des Raumfähren-Starttunnels, Atlanta, 16 Uhr 05
     
    Wolfgang Bracken nahm den Hörer nach dem ersten Klingelzeichen ab.
    »Hilfsdienste«, sagte er.
    »Wolfy?« Es war Rob Martin. »Wir haben einen Anruf von der Polizei erhalten. Da draußen könnte sich jemand herumtreiben, der versuchen wird, die Raumfähren mit Boden-Luft-Raketen herunterzuholen.«
    Bracken stieß einen Fluch hervor. »Wie sicher ist das?«
    »Die Polizei weiß es nicht genau. Aber ich denke, ihr solltet den Einsatz stoppen, bis die Beamten sich umgesehen haben.«
    »Danke, Rob.« Bracken war ein gedrungener kleiner Mann mit enormen schwarzen Augenbrauen, Hängebacken wie eine Bulldogge und völlig haarlosem Schädel. »Wir haben gerade eine gestartet.«
     
     
Einstufen-Raumfähre Los Angeles, Flugdeck, 16 Uhr 06
     
    Ben West war der einzige MVB-Pilot, der seine ersten Erfahrungen nicht in Düsenjägern gemacht hatte. Zu Anfang war er für den Luftfrachtdienst seines Vaters im Südwesten geflogen und hatte sich dabei im Cockpit so gut bewährt, daß er schließlich einen Job als Testpilot für das Unternehmen Allied erhielt, wo er den ersten Prototypen einer einstufigen Raumfähre flog, die Alpha-6. Er war auch der einzige Raumfährenpilot, den man gebeten hatte, diesen Job zu übernehmen.
    Ben war Afroamerikaner, geschieden, zwei Kinder über zehn. Er spielte außerordentlich gut Bridge und war auf weltweiten Wettkämpfen zweimal für die Vereinigten Staaten angetreten. Seine Kinder erzielten auf der Schule gute Leistungen, und nach sechs Jahren hatte er endlich eine Frau gefunden, die seine Gefühle weckte und sein Leben