Mondsplitter
sein Mund trocken wurde. Die letzten paar Stunden hatte er damit zugebracht, sich einzureden, daß eine Kollision in einer Drittelmillion Kilometern Entfernung keine Gefahr für das Wohlergehen der Vereinigten Staaten sein konnte. Er blickte den Tisch entlang in eine Reihe besorgter Gesichter. »Wovon genau reden wir?« fragte er. »Stecken wir in Schwierigkeiten?«
»Wahrscheinlich nicht in großen«, sagte Finizio. Sie klang sogar wie seine Großmutter. Sie sah ihn direkt an. »Ich denke, die Hauptgefahr geht nicht von Mondtrümmern, sondern von Panik aus.«
»Das ist Unsinn«, sagte Feinberg. »Eine Menge Gestein wird hier herumfliegen, und wir wissen nicht, wo es einschlägt. Herr Präsident, alles kann passieren.«
»Definieren Sie alles.«
»Erdbeben. Flutwellen. Gott weiß, wie die Welt am Sonntagmorgen aussieht. Aber ich nenne Ihnen ein Beispiel für das, was möglich ist: Sollte ein ausreichend großer Brocken in den Pazifik stürzen, steht uns allen eine Schwimmpartie bevor. Verdammt, fast dem ganzen Planeten!«
Kolladner hörte, wie irgendwo Fingernägel trommelten. Jemand hustete.
Finizio verdrehte die Augen. »Das ist eine entfernte Möglichkeit, Wesley«, sagte sie, »und Sie wissen das.«
»Sie ist überhaupt nicht entfernt.«
»Natürlich ist sie das. Hören Sie, Sie haben schon immer zu Übertreibungen geneigt, aber ich denke, Sie sollten sich hier ein wenig zügeln.«
Henry mischte sich ein, ehe sich der Streit ausweitete. »Professor Finizio, erläutern Sie uns, womit Sie rechnen.«
»Mit sehr wenig, Herr Präsident. Verstehen Sie das richtig: Bei einem Ereignis dieser Art hat Wes grundsätzlich recht. Alles kann passieren. Aber nichts davon ist sehr wahrscheinlich. Womit ich rechne, das ist eine gesteigerte Meteoraktivität. Ich vermute jedoch, daß wir insgesamt recht problemlos hindurchkommen. Vielleicht kommt es zu ein paar isolierten Zwischenfällen. Aber wahrscheinlich nichts, das es wert wäre, sich darüber zu sorgen.«
»Auch bezüglich der Erdachse könnte es heikel werden«, meinte Feinberg, als hätte Finizio gar nichts gesagt. »Die Neigung der Ekliptik hängt in gewissem Maß von der Beziehung zwischen Mond und Erde ab. Nimmt man das weg …«
»Ach, um Gottes willen!« sagte Finizio.
»Bitte auf Englisch«, sagte der Präsident.
Feinberg nickte. »Die Jahreszeiten hängen von der Neigung der Erdachse ab. Das ist Ihnen natürlich bekannt. Wir sind der Sonne im Juli näher als im Dezember. Das alles könnte sich jetzt jedoch ändern. Wenn wir den Mond wegnehmen, erleben wir ein viel stärkeres Wackeln.«
»Macht uns das etwas aus?« erkundigte sich Patricia Russell, die Pressesprecherin.
»Die Sommer werden heißer, die Winter kälter. Die höheren Breitengrade werden unbewohnbar. Es wird Probleme mit der Landwirtschaft geben.«
»Mit der Landwirtschaft?« fragte Henry. Er wandte sich hilfesuchend an Finizio.
»Er meint, daß sich der Weizengürtel nach Süden verlagert«, sagte sie. »Aber das wird auf sehr lange Sicht nicht passieren. Nichts, worüber wir uns Sorgen machen müßten.«
»Die nächste Regierung?« fragte einer der politischen Berater.
Finizio lachte.
»Vielleicht das nächste Jahrtausend«, antwortete sie. »Sicherlich nicht früher. Wahrscheinlich beträchtlich später.«
»Das stimmt«, räumte Feinberg ein, »aber wir müssen an die Zukunft denken.«
»Bleiben wir erst mal bei der Gegenwart«, sagte Henry. »Ist da sonst noch was zu erwähnen?«
»Sie können ganz beruhigt sein«, sagte Finizio, »daß der Mond nicht einfach in alle Richtungen auseinanderfliegt. Die Schwerkraft ist nach wie vor gegeben, und was immer sonst passiert – der größte Teil des Gesteins, aus dem der Mond besteht, wird genau dort bleiben, wo es ist. Oh, es wird schon ein bißchen durchgeschüttelt! Zertrümmert. Aber nichts Schlimmeres. Ich denke, für die Regierung wäre es am klügsten, einfach alle zu beruhigen.« Sie warf einen Blick nach links, wo für sie das Bild Feinbergs sichtbar sein mußte.
Der Präsident hätte ihr am liebsten applaudiert.
»Ich halte das für eine extrem optimistische Sichtweise«, sagte Feinberg.
»Was soll ich also tun?« fragte Henry ruhig. »Beide Küsten evakuieren?«
»Ich erkläre Ihnen, was Sie tun sollten«, sagte Finizio. »Evakuieren Sie zunächst L1. Die Station liegt der Kollision zu nahe. Und zur Sicherheit vielleicht auch Skyport.«
Die Stationen evakuieren. Na ja, das wenigstens war leicht zu bewerkstelligen. Und
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