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Mondsplitter

Mondsplitter

Titel: Mondsplitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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war von der menschlichen Natur zuviel verlangt. Wenigstens in ihrer abendländischen Manifestation.
    Der Kaplan war beeindruckt von dem, was er von Hamptons Auftreten erfahren hatte. Sie hatte den Ruf, schonungslos zu sein, und er vermutete, daß sie ihn wohlverdient hatte – Mark traute niemandem zu, an die Spitze irgendeiner Organisation vorzudringen, ohne ein bißchen DNA von Tamerlan mitzubringen. Trotzdem – Mark hatte die Begabung, Situationen aus dem Blickwinkel anderer Menschen zu betrachten, und Hampton tat ihm leid, wenn er an die Entscheidungen dachte, die sie hatte treffen müssen.
    Man hatte ihn für den Flug am Samstagnachmittag eingeplant, so daß er schon lange unterwegs sein würde, wenn der Komet einschlug. Aber sobald er die ersten Gerüchte hörte, daß Menschen zurückbleiben mußten, war ihm klar, daß er damit ein spezielles Problem hatte. Hätte Christus einen der Busse bestiegen, während andere den Tod erwarten mußten? Wie konnte Mark so was tun? Woran glaubte er überhaupt wirklich?
    Den ganzen Vormittag lang plagte er sich schon damit. Einmal hatte er schon das Telefon in der Hand gehabt, um Jack Chandler anzurufen und ihm das Angebot zu machen. Dann aber hatte er den Apparat nur angestarrt, während sein Herz klopfte.
    Sobald er es getan hatte, war es unwiderruflich.
    Mark Pinnacle war einunddreißig. Er liebte das Leben, genoß einen guten Drink und hatte einen großen Freundeskreis. Er verbrachte stimulierende Abende mit ihnen, bei denen sie lebhaft über Leben, Tod und Politik diskutierten. An Frauen hatte er wahrscheinlich stärkeres Interesse, als für einen Geistlichen schicklich war. Er freute sich darauf, einmal eine zu finden, mit der er sein Leben teilen konnte. Er hatte eine Vorstellung von großer Leidenschaft und war entschlossen, sich mit nichts Geringerem zufriedenzugeben.
    Er dachte gerade darüber nach, als er fast beiläufig zu folgendem Schluß gelangte: Falls er nach Hause flog und zuließ, daß jemand anderes an seiner Stelle starb, leugnete er damit alles, wofür er einzustehen glaubte.
    Er setzte sich neben das Telefon und nahm es zur Hand. Diese zitterte, als er die Nummer des Direktors eintippte, die er sich beim vorherigen Versuch gemerkt hatte. Die Sekretärin wünschte ihm einen guten Tag und informierte ihn, daß Mr. Chandler beschäftigt war, stellte ihn jedoch durch, als Mark darauf bestand, daß es wichtig war.
    »Ja, Kaplan«, meldete sich Chandlers barsche Stimme. »Was kann ich für Sie tun?«
    Mark spürte, wie ihm das Blut pochend durch die Adern schoß. »Ich bleibe«, sagte er.
    Chandler schien verblüfft, nicht sicher, wovon Pinnacle eigentlich redete.
    »Setzen Sie meinen Namen auf die Liste. Geben Sie meinen Platz jemand anderem.«
    »Oh«, sagte Chandler. »Sind Sie sicher?«
    Der Kaplan legte auf und sank erschöpft auf die Couch. Aber etwas Seltsames geschah: Die Angst sickerte aus ihm heraus, und ein erstaunliches Gefühl von innerem Frieden erfüllte ihn. Er begriff allmählich, daß seine Mission beendet war, sein irdisches Leben (er lächelte über die Wendung) zur Neige ging und ihm jetzt nur noch blieb, den Mut nicht zu verlieren und sich dem Urteil seines Schöpfers zu stellen.
    Er goß sich einen Drink ein und trank auf die eigene Tapferkeit. Ihm ging der Gedanke durch den Kopf, daß er sich überzogenen Stolzes schuldig machte. Aber er fühlte sich dazu berechtigt.
    Als der erste Ansturm der Gefühle vorüberging, kehrte die Angst zurück. Wie schwach, dachte er, ist doch die ungefestigte Seele. Selbst in Anbetracht der garantierten Erlösung empfand er im bösen Licht des herannahenden Kometen Angst. Und doch stand ihm Christus zur Seite. Wie mochte es Nichtgläubigen in einer solchen Lage ergehen?
    Es war kühl im Zimmer geworden, als wäre das Lebenserhaltungssystem ausgefallen. Er zog eine Jacke an und ging hinaus auf die Main Plaza, wo immer noch Menschen in den Parks und vor den Geschäften – inzwischen fast alle geschlossen – versammelt waren. Er grüßte Bekannte und auch Menschen, die er nicht kannte, die jedoch aufblickten und ihm in die Augen sahen; er wünschte ihnen einen guten Flug und sagte, ja, er freute sich darauf, sie wiederzusehen, sobald sie alle sicher zu Hause eingetroffen waren. Er lächelte über seinen kleinen Scherz.
    Schließlich setzte er sich auf eine Bank vor einem Laden für Küchengeräte. Ein rotes Banner mit der Aufschrift GEÖFFNET war diagonal über das Schaufenster gespannt. Eine Reihe

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