Mondsplitter
als sie das Wasser abdrehte. Sie ging aus dem Badezimmer und trocknete sich unterwegs ab. »Hampton«, sagte sie. Der Name, von der eigenen Stimme ausgesprochen, schaltete den Apparat ein.
»Evelyn.« Es war Chandler. »Ich habe gerade eine Nachricht aus der Betriebszentrale erhalten.«
»Was ist passiert, Jack?«
»Der Flug ist ohne Haskell gestartet.«
Sie brauchte einen Augenblick, um das zu verdauen. »Wie konnte es dazu kommen?«
»Er und seine Gruppe sind anscheinend einfach weggegangen. Einer von ihnen lieferte die Tickets ab und sagte unseren Leuten, sie sollten die Plätze anderen geben. Er war vor einigen Minuten hier oben.«
»Hat er den Grund erklärt? Warum er nicht abgeflogen ist?«
»Nein, hat er nicht. Aber er ist unterwegs zu dir.«
»Okay«, sagte sie. »Danke, Jack. Ich vermute, daß wir die Plätze trotzdem belegt haben.«
»Ja.«
»Okay. Setz die Gruppe in den morgigen Frühflug.«
»Ja, Ma’am.«
Sie hörte laute Stimmen auf dem Korridor. »Ich denke, er ist da, Jack. Ich rede später mit dir.«
Sie schnappte sich einen Bademantel, zog ihn über die Schultern und drehte sich zur Tür um.
Mondbasis, Grissom Country, 14 Uhr 06
Charlie Haskell war kein Held. Er bewunderte Helden, war stets bereit, TR oder Churchill zu zitieren, und hatte zweimal die Feiern zum Veteranentag geleitet. Niemals in seinem Leben war er jedoch aufgefordert gewesen, etwas Heldenhaftes zu leisten. Er hatte sich einem oder zwei Schlägertypen entgegengestellt und sich einmal auch einem tyrannischen Geometrielehrer widersetzt. Die Erinnerung an diesen lange vergangenen Tag war ihm absurderweise durch den Kopf gegangen, als er auf dem Rückweg zur Main Plaza in der Straßenbahn saß, umgeben von Rick und seinen frustrierten Agenten.
Frustration war das Motto des Nachmittags. Er hatte darauf bestanden, daß die Agenten den geplanten Flug nahmen. Sie weigerten sich. Und Rick, der normalerweise zuerst für sich selbst sorgte, hatte diesen Augenblick gewählt, um sich untypisch zu geben. Er hatte eingewandt, daß Charlie unmöglich bleiben konnte, nicht einmal daran denken durfte, es dem amerikanischen Volk schuldete, daß er nach Hause zurückkehrte, zu wertvoll war, um verlorenzugehen. Was besagte, daß nicht einmal Rick einen zwingenden Grund wußte, warum Charlie seine Haut retten sollte.
Charlie hatte keine Familie, die von ihm abhängig war, hatte niemanden, der schrecklich verletzt sein würde, wenn ihm etwas widerfuhr. Und keinen wirklichen Grund, um überhaupt zu existieren, abgesehen von seinem Job, von dem jemand einmal gesagt hatte, er bestünde aus drei Pflichten: fischen zu gehen, dem Senat vorzusitzen und darauf zu warten, daß der Präsident starb.
Rick hatte auf dem ganzen Weg bis zu Evelyns Wohnung Einwände vorgebracht.
Charlie gewann jedoch den Eindruck, daß sein ganzes Leben eine Vorbereitung auf diesen schrecklichen Augenblick gewesen war. Er hielt sich für eine nationale Führungsfigur. Er hatte Spaß am Drum und Dran seines Amtes, schwelgte in seiner Berühmtheit, hatte Umgang mit den Mächtigen, reiste von einem Country Club zum nächsten. Aber jetzt war der Augenblick gekommen, um Führungsqualitäten zu zeigen.
Er hatte in der Straßenbahn gesessen und Rick zugehört. Er stellte sich vor, wie er nächstes Jahr im Weißen Haus saß, wenn er Glück hatte, wie er das Wissen zu verbannen versuchte, daß jemand, der tapferer war als er, an seiner Stelle umgekommen war. Er konnte sich nicht mal an den Namen des Kaplans erinnern. Er hatte Herzklopfen gehabt. Später sollte er zu der Auffassung gelangen, daß die Entscheidung schon Stunden zuvor gefallen war, daß es eine Frage der linken Hirnhälfte gewesen war, daß es nur darum gegangen war, sich bewußt darüber klar zu werden. Und vielleicht lag ein Körnchen Wahrheit darin.
Charlie hatte versucht, von der Straßenbahn aus den Präsidenten anzurufen. Er kannte eine Nummer, die ihn reibungslos über die Kommzentrale der Mondbasis leitete, aber Henry war in einer Konferenz gewesen. Er wird Sie zurückrufen, Sir. Also hinterließ er eine Nachricht, in der er seine Entscheidung erläuterte. Damit hatte er natürlich den Rubikon überschritten.
Dann hatte er sich auf die Suche nach Evelyn gemacht. Wenn er schon diesen Schritt tat, wollte er wenigstens die Freude auskosten, es ihr persönlich mitzuteilen. Er fragte sich, warum ihr Respekt ihm so wichtig war. Aber jetzt stand er vor ihrer Tür, schickte Rick und seine
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