Mondsplitter
einige Ihrer Leute zu verlieren?«
Chandler fuhr sich mit den Händen durch das ausgedünnte Haar. »Ja«, sagte er, »das tun wir.«
»Wieso sitzen Sie darauf? Denken Sie, es würde morgen abend irgendwas ändern, wenn Sie es niemandem sagen?«
Chandler beugte sich vor, setzte die Ellbogen auf den Schreibtisch und legte das Kinn auf die Hände. »Wir sitzen auf gar nichts, Keith.« Er warf einen Blick aufs Telefon. »Ich rufe die Kommzentrale an und sorge dafür, daß Sie eine Verbindung erhalten, wenn es das ist, was Sie möchten.«
»Natürlich ist es das, was ich möchte.« Er holte tief Luft. »Wie viele Menschen werden umkommen?«
»Möglicherweise niemand.«
»Klar. Das hatten wir schon. Falls Sie jemanden verlieren, wie viele sind es dann wahrscheinlich?«
»Sechs«, antwortete Chandler.
Sechs. Na ja, das war nicht so schlimm, wie Morley gedacht hatte. Mal vorausgesetzt, der alte Mistkerl sagte die Wahrheit. »Namen?« fragte Morley. »Wer bleibt zurück?« Er holte natürlich nicht sein Notizbuch hervor. Er war schon zu lange im Geschäft und wußte, daß man niemals, wirklich niemals ein Interview mit Notizbuch oder Recorder führte.
Chandler rasselte sie herunter. Er selbst und Hampton. Hawkworth, Eckerd, Pinnacle.
»Der Kaplan?«
»Er hat es angeboten.«
Morley rief sich Mark Pinnacle ins Gedächtnis. »Hat er gesagt, warum?«
Chandler schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe nicht daran gedacht, ihn zu fragen.«
»Okay. Das sind fünf. Wer noch?«
»Charlie Haskell.«
Morley mußte zweimal hinhören. »Das meinen Sie doch nicht im Ernst! Er ist heute nachmittag abgeflogen, oder?«
»Nein. Er ist nicht an Bord gegangen.«
»Aber er hatte den Befehl erhalten.«
»Er ist immer noch hier.«
Morley ging zur Tür. »Können Sie für mich ein Gespräch mit ihm vereinbaren?«
Chandler schüttelte erneut den Kopf. Er war sehr gut darin, nein zu sagen. »Ich bin nicht für seinen Terminkalender zuständig, Keith.«
Verdammt! Entweder war das eine saubere Sache, und Haskell wollte wirklich den Einschlag des Kometen abwarten, oder irgendwas ging hier vor. So oder so, es war eine gigantische Story! Morley stockte die Stimme, als er an seine Optionen dachte. Trotzdem brauchte er nur einen Augenblick, um sich zu entscheiden. »Jack, ich möchte auch bleiben, falls Sie keine Einwände haben.«
Chandlers Augen weiteten sich. »Das meinen Sie doch nicht ernst«, sagte er.
Morleys sämtliche Instinkte sagten ihm, daß der Vizepräsident auf keinen Fall bliebe, gäbe es nicht einen Ausweg. Politiker tun so was einfach nicht.
Und es war wirklich eine Mordsstory! Der Pulitzerpreis, dachte Morley. Vielleicht posthum. Aber der Pulitzerpreis.
FRANK CRANDALLS DURCH-DIE-NACHT-ANRUF-SHOW, 23 Uhr 53
Crandall: Hi, Jason aus Coos Bay.
Erster Anrufer: Hey, Frank! Ein Hurra aus der Hauptstadt der weißen Strände.
Crandall: Danke, Jason. Was beschäftigt dich?
Erster Anrufer: Wie sieht die Sache mit dem Kometen wirklich aus, Frank? Die Medien lügen doch immer, und ich höre weiterhin nur widersprüchliche Meldungen. Ich blicke gerade durch mein Fenster hinaus aufs Meer. Was passiert morgen abend?
Crandall: Keine Ahnung, Mann. Ich denke nicht, daß es irgend jemand genau weiß.
Erster Anrufer: Sollte ich von hier verschwinden?
Crandall: Es ist deine Entscheidung, Jason.
Erster Anrufer: Was würdest du tun?
Crandall: Der alte Frank sitzt morgen auf einer Bergspitze. (Lacht.) Im Ernst, Jason, ich bin genau hier in Miami, tue das Übliche und hoffe das Beste. Ich denke, die Medien sind sehr vorsichtig mit dem, was sie melden. Heutzutage muß jeder aufpassen, und ich sage dir auch, warum: Überall wird prozessiert. Also sind wir alle übervorsichtig … Wir haben noch Zeit für einen Anruf, ehe die nächste Werbeunterbrechung kommt … Harry in St. Louis, hallo.
Zweiter Anrufer: Hi, Frank. Weißt du, ich würde gern ein anderes Thema ansprechen.
Crandall: Nur zu. Rede über alles, was du möchtest.
Zweiter Anrufer: Ich frage mich, ob dir schon aufgefallen ist, daß die Cardinals mit sechs Siegen in Folge in die Saison gestartet sind.
Crandall: Yeah, sie werfen einfach phantastisch, und es sieht so aus, als hätten sie dieses Jahr eine ernstzunehmende Mannschaft …
Einstufen-Raumfähre Berlin, Flugdeck, 23 Uhr 59
Willem Stephan schob den Antriebshebel vor, und die Raumfähre beschleunigte. Er informierte die Mondbasis, daß er den Orbit verließ, und war erleichtert, als er sah, wie
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