Mondtaenzerin
benommen an. Da war immer noch diese Furcht, die Furcht, dass er uns im Stich ließ. Zunächst erwiderte er meinen Blick nicht, nach wie vor waren seine Augen auf ferne Orte und Dinge gerichtet. Ich dachte an den Brunnen im Tempel der Göttin. Fiel ein Stein hinein, drang ein Summen aus der Tiefe, wie ein Echo aus einer anderen Welt. Furcht ergriff mich. Gewiss war die Luft warm, noch schien die Sonne, aber meine Nackenhaare hoben sich in einer Gänsehaut. Und wieder streifte mich ein Verdacht, kalt und nass wie ein dicker Regentropfen. Ich sagte mit rauer Stimme:
»Dann werden Sie also nichts tun, um Giovanni zu helfen?«
Da sah ich, wie in seinem erstarrten Gesicht die Augen auf mich gerichtet waren, dieselben hellen, gütigen Augen wie zuvor. Und jetzt lag in seinem Blick Erstaunen.
»Kind, wie kommst du darauf?«
»Aber… aber«, stammelte ich. »Sie haben doch gesagt…«
Er verzog die Lippen zu einer seltsamen Grimasse, halb Bitternis, halb Spott.
»Ach, ich habe vieles gesagt. Vergebt mir, Kinder. Dass ich ein Schwätzer bin, wisst ihr ja bereits.«
Er kniff die Augen zusammen, furchte die Stirn.
»Nein, ich war gerade dabei zu überlegen, wie ich eurem Vertrauen gerecht werden kann. Und ich bin so kühn, euch im Namen von Giovanni für eure Treue zu danken. Es gibt eine Freundschaft, die handelt und dabei wächst. Das alles war hart für euch, aber das Starke in euch hat es zu tragen gewusst.«
Er tastete nach den Armlehnen und erhob sich schwerfällig, immer noch in Gedanken versunken.
»Ich werde der Sache gleich nachgehen. Gott dürfen wir nicht warten lassen.«
»Werden Sie unseren Eltern sagen, dass wir hier waren?«, fragte Peter, nass geschwitzt und rot im Gesicht.
Ein Blinzeln trat in seine Augen, ein winziger Funken Schalk.
»Mein lieber junger Freund, St. Angelo ist eine sehr alte Burg und ein sicherer Hort für jedes Geheimnis.«
25. Kapitel
A bends zu Hause sprach ich kaum noch ein Wort, sodass mein Vater und ich uns gegenseitig anschwiegen, was Mutter – wie sie es später formulierte – »den letzten Nerv raubte«. Ich war zu gespannt, zu aufgewühlt, zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Nachträglich erzählte mir Peter, dass auch er sich am liebsten irgendwo verkrochen hätte. Er spürte die gleiche Mischung aus Hochgefühl, Angst und schlechtem Gewissen. Wir waren empfindsame Halbwüchsige, unsere Gefühlswelt schwankte wie unter dem Einfluss eines hohen oder niedrigen Barometerdrucks. Für Peter war es schlimmer als für mich, zeigten doch seine Eltern weniger Nachsehen als meine. Was in Peter gefahren war, blieb undurchschaubar. Peter galt als freundlich, bedachtsam und gewissenhaft; ganz plötzlich hatte er viel mit einem Eisblock gemeinsam. Die Micalefs, die ihren Sohn auch nicht im Entferntesten verstanden, wussten immer weniger, woran sie mit ihm waren. Sie reagierten sauer.
Ich dachte, dass ich in dieser Nacht kein Auge zutun würde. Genau das Gegenteil traf ein. Kaum hatte ich mich nach der Dusche ins Bett gelegt, da schlief ich auch schon ein. Es war Samstag – Mutter ließ mich schlafen. Ich tat ihr leid. Liebeskummer war eine Sache, die sie im Grunde verstand. Mädchen haben eben diesen unvernünftigen, verrückten Drang, sich in den Falschen zu vergucken. Vater reagierte anders, nicht gerade schadenfroh, jedoch mit einer Art von rechthaberischer Genugtuung. Wenn es um die eigene Tochter ging,
mauserte sich Geoffrey, der schöne Dionysos von einst, zum knauserigen Moralapostel. Immerhin war er erleichtert: Giovanni würde sich in unserer Klasse nicht mehr blicken lassen, die Gefahr war fürs Erste gebannt. Was aus ihm wurde, interessierte keinen. Dass ich nicht von heute auf morgen ein freundliches Gesicht machen konnte, sah Vater wohl ein. Dass ich mich die meiste Zeit in mein Zimmer verkroch, auch. Er ließ mich schmollen. Am nächsten Tag, gegen Abend, klingelte es an der Haustür. Ich saß auf dem Bett, voller Angst vor irgendeiner furchtbaren Strafe und auch vor dem Schulanfang, hielt eine Modezeitschrift auf den Knien, in der ich gedankenverloren blätterte. Ich las ja nicht wirklich, ich sah nicht einmal die Bilder. Giovanni. Er, sein Körper und seine sanften Bewegungen, seine Umarmung und zum Schluss seine Tränen; ich konnte mich nicht davon lösen. Ich litt Qualen, wie ich da neben dem Nachttisch saß und den eleganten Wecker – eine ziemlich teure Marke – im Auge behielt. Meine Mutter hatte mir den Wecker geschenkt, als ich auf die höhere Schule
Weitere Kostenlose Bücher