Mondtaenzerin
bevor er geduldig antwortete.
»Per Funk wäre das jederzeit möglich. Die Frage ist nur: Wird man es ihm ausrichten? Und der Frachter wird auch nicht für ihn kehrtmachen. Er geht bis nach Kapstadt und betreibt recht krumme Geschäfte. Die Leute haben Erfahrung: Der Zoll findet nie etwas, alle Papiere stimmen, die Container sind immer clean. Das Schiff ist legal registriert, Geldüberweisungen finden nicht statt, jeder Stempel sitzt da, wo er hingehört. Aber geht man der Sache nach, läuft man gegen eine Wand.«
»Drogen?«, murmelte Vater. Und ich las in seinen Zügen klar wie die ausgesprochenen Worte den heimlichen Gedanken dahinter: »Gott sei Dank, er ist weg!« Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich ihn geschlagen.
Ellison spürte, dass jetzt alles glücklich überstanden war. Er nickte ruhig und bekümmert. Das vertraute Worthandwerk kam geläufig über seine Zunge.
»Auch illegale Einwanderer und Waffen. Der Handel wickelt sich von Schiff zu Schiff in internationalen Gewässern ab. Unsere Seepolizei arbeitet gut, aber die Küsten Maltas sind teilweise ungeschützt. Wir vermuten, dass sie nachts irgendwo vor Anker gehen, ihre Ware ausladen und dann völlig legal in den Hafen fahren. Wir haben sie noch nie auf frischer Tat ertappt, wissen auch nicht, wer die Drahtzieher sind. Ihr Netzwerk ist perfekt abgeschottet. Wir müssen warten,
bis der Zufall uns einen Fisch in die Netze spült. Und ich fürchte, dass diese Leute dem Jungen viel beibringen werden, nur keine Theologie.«
»Sehr unerfreulich, wirklich«, murmelte Vater angewidert.
»Ja, schade um den Jungen.« Mutter bestätigte es durch Kopfnicken. »Er hätte Besseres verdient.«
Doch als sich unsere Augen begegneten, senkte sie den Blick, und eine leichte Röte stieg in ihr Gesicht. Ich fühlte, dass der gesenkte Blick und das Blut in den Wangen auch bei ihr Erleichterung bedeuteten. Erleichterung darüber, dass Giovanni weit von mir entfernt war, sich immer weiter entfernte. Er mochte ein guter Junge sein, ein sehr guter Junge, solange er in seinen Grenzen blieb. Aber für eine Beziehung mit mir kam er überhaupt nicht in Frage. Und es war falsch, dass ich mich mit ihm eingelassen hatte. Sie ließ es mich spüren, indem sie hinzufügte:
»Nun, Alessa, ich glaube, die Sache ist gelaufen. Im Augenblick ist nichts mehr zu machen.«
Ich konnte dieses überlegene, fast mitleidige Getue nicht mehr ertragen. Ich murmelte eine Entschuldigung, schob den Stuhl zurück und ging. Eilig stieg ich die Treppe hinauf. Mir schien, als ob ich großen Lärm dabei machte. Oben öffnete ich eine Tür sehr laut, und dann war ich in meinem Zimmer und blickte mich um. Und von dem Augenblick an, da ich in mein Zimmer kam, nahm ich den Geruch wahr, den ich zunächst nicht identifizieren konnte. Hätte man mich gefragt, wonach es rieche, ich hätte geantwortet, es riecht nach Schweiß. Aber da war noch etwas anderes, für das ich keinen Namen wusste. Der Geruch meiner Verzweiflung, das war es. Ich stand da, und da standen mein Schrank, mein Bücherregal, und da stand auch mein Bett. Ich warf mich auf mein Bett und starrte zur Decke empor, erlebte schwindelerregend den Augenblick, der vergeht, der nie wiederkehrt. In meinem Kopf kreiste Giovannis Bild, Giovanni in seiner unschuldigen
Schönheit und Redlichkeit, schon eingetaucht in die Vergangenheit, unberührbar und unerreichbar geworden, einzig und allein nur für mich da, in meiner Erinnerung. Die Erde kreiste mit ihm und mit mir; das Leben war eine Strömung, die uns beide mitzog, langsam, so langsam, dass man es kaum wahrnahm. Giovanni entfernte sich, zog sich zurück, ein Schatten in vielen Schatten. Er war Träger meiner unbeschwerten Kindheit, ich machte aus ihm eine Erinnerung, einen Traum, der mich begleiten würde, durch alle Höhen und Tiefen des Lebens. Vielleicht, wenn Giovanni ein Traum war, war es möglich, ihm im Traum wieder zu begegnen? Einen Traum darüber zu träumen, kann man das? Vielleicht. Doch inzwischen war nur die Erinnerung da. Einst kannte ich einen Jungen, der Giovanni hieß. Und ich dachte mit einer Art von trotziger Genugtuung, dass kein Mädchen auf der ganzen Welt ihm jemals den Namen Schwalbenflügel geben würde. Das war ein Trost, mit dem ich mich einstweilen abfinden konnte. Und das war – für lange Zeit – alles.
Ein paar Tage später – die Schule hatte bereits begonnen – erzählte Vater beim Abendessen in beiläufigem Ton, dass Don Antonino ein Pfarramt auf Comino
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