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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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gesehen. Das Hochzeitsbild natürlich, Vater im gut geschnittenen dunklen Anzug und Mutter als Braut, im weißen Spitzenkleid, immer noch mit diesem arglosen Lächeln. Bei den Großeltern sah ich noch einige Bilder, die ich nicht kannte. Meine Eltern bei einem Fest. In Avignon sei das gewesen, sagte Großmutter. Mutter trug ein Kaftankleid mit einem Blumenmuster und Vater eine Halskette mit dem Peace-Zeichen als Anhänger auf der nackten Brust. Wir betrachteten gemeinsam die Bilder. Aus den Augenwinkeln sah ich Großmutters gesenktes Profil, die Krähenfüße um die Augen, den blassen Mund, hörte ihre leicht brüchige Stimme.
    »Ingrid schrieb in einem Brief, dass sie glaubte, Geoffrey sei in einem anderen Leben ein großer Herr gewesen, ein stolzer Fürst, der über das Mittelmeer herrschte. Oh, sie hatte viel Fantasie!« Sie hob ihr welkes Gesicht, sah mich an und lächelte ein wenig.
    »Es kam einfach über sie. Das ist so mit der Liebe. Was kann man da machen?«
    »Nichts«, sagte ich rau. Großmutter kniff ihre Augen zusammen, die hinter der Brille sanft und verschwommen waren. Vielleicht wünschte sie sich, auch meine Geschichte zu hören, aber sie stellte keine Fragen. Sie hatte die gleiche Kühle wie ihre Tochter.
    Bei den Großeltern gab es nur selbst gebackenen Kuchen. Obst und Gemüse wurde eingemacht, die Heringe in weiße Tunke eingelegt. »Wir machten alles selbst«, sagte Großmutter. »Wir haben einen Garten, zum Glück. In der Kaufhalle gab es immer Lebensmittel, Brot, Käse, Wurst, das Übliche, aber man musste anstehen. Und wenn man drankam, war das Beste weg.«
    Eine wunderschöne Perserkatze, weiß und ruhig und sorgfältig gebürstet, nahm gern den Sessel in Beschlag, in dem Großvater vormittags seine Zeitung las. Dann lag die Katze
auf seinen Knien. Auf dem Rasen draußen wuchsen die ersten Astern, rote Stachelbeeren und rote Beeren, die es auf Malta nicht gab. Großmutter machte daraus rote Grütze, die wunderbar schmeckte. Ich fühlte mich eingehüllt, verhätschelt, geborgen. Mit Großmutter, die noch immer gerne Rad fuhr, machte ich größere Touren auf der Insel. Ich entdeckte eine liebliche, grüne Landschaft, die mit dem Meer verschmolz, das wild und kalt war. Ein anderes Land, eine andere Insel, ein anderes Meer. Auf den ersten Blick sahen die Dörfer gepflegt, die Häuser neu und frisch gestrichen aus. »Nach der Wende, da wollten wir es schön haben«, sagte Großmutter. »Aber wir haben zu schnell zu viel Geld ausgegeben und sind noch lange nicht fertig.«
    An einigen Orten gab es sie noch, die grauen Häuser mit den eingeworfenen Scheiben, in denen keiner mehr wohnte, die zugemauerten Ladentüren, den verfaulenden Putz, die schiefen Rollläden. Ich bekam allmählich eine Ahnung davon, wie es damals gewesen war. »Wir mussten uns mit wenig begnügen«, sagte Großmutter. »In den Ferien gingen wir zelten, da oben in den Wäldern. Von den Kreidefelsen blickten wir aufs Meer und sahen nachts die Scheinwerfer, die das schwarze Wasser absuchten. Man konnte ja sehen, wie die Fähren nach Schweden vorbeifuhren. Manche versuchten nachts, die Schiffe in kleinen Booten, ja sogar auf Luftmatratzen zu erreichen. Das war natürlich Wahnsinn. Die Seepolizei fing sie ein. Und nicht wenige ertranken.«
    Es gab Gefängnisse, die keine Gitter brauchten und auch keine verschlossenen Türen. War die Seele eingesperrt, glaubte ich wohl, dass man auf dieser Insel ersticken konnte. Was, wenn die wechselnden Fernen unerreichbar blieben? Wenn Schiffe gnadenlos einem fremden Horizont entgegenzogen? Viel Trost blieb da nicht, und aus dem Meer, dem Auf und Ab der Wogen stieg eine Betäubung auf, die mir vertraut war. Ich dachte an meine Mutter, an ihre Wünsche und Träume, an ihr
halb gelebtes Leben. Einmal fragte mich Großmutter, als wir in einer Strandbar Eis aßen, ob ihre Ingrid auf Malta eigentlich glücklich war. Ihr Tonfall ließ durchblicken, dass sie daran zweifelte. Ich antwortete so, wie ich es empfand: dass Mutter, logisch und konsequent wie sie war, aus ihrem Leben das Beste machte. Worauf Lore die Schultern krümmte und errötete, sodass sie plötzlich einem kleinen, runzeligen Apfel glich.
    »Sie ist weggegangen, hat sich von sich selbst getrennt, ein klarer, sauberer Schnitt. Das Sinnlose daran ist, dass sie vielleicht ein Gefängnis gegen ein anderes eingetauscht hat. Dass auch ihr das Schicksal die Flügel stutzte. Diesen Gedanken habe ich manchmal, Alessa, und er belastet mich sehr. Aber

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