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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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gegessen, getrunken, geredet und gelacht wurde. Das Lokal war überfüllt, aber man kannte Viviane, und wie durch Zauberhand wurden für uns zwei Plätze frei. Das Essen – eine Fischpastete, die wie Butter im Mund zerging – hatten wir uns an der Theke geholt.
    »Was verstehst du unter heroisch?«, fragte ich.
    Viviane hatte – neben ihren Visionen oder was auch immer dahinterstecken mochte – eine kühl realistische Einstellung.

    »Deine Kämpfe waren melodramatisch«, erwiderte sie leichthin.
    »Sie lohnten sich aber auch«, konterte ich.
    Sie nickte mit vollem Mund.
    »Mit elf schon Lebensretterin. Du kannst dir etwas darauf einbilden.«
    Sie saß mir gegenüber, ein erstaunlicher Anblick selbst in diesem Viertel, wo es von Freaks nur so wimmelte. Trat sie irgendwo in Erscheinung, schien alles wie elektrisch geladen. Sie erzeugte um sich herum eine eigentümliche Energie, die ihre Mitmenschen berührte und gleichzeitig explosionsartig auf die Seite schleuderte. Die Männer, die sie – wie sie zugab – recht eifrig konsumierte, mussten es jedenfalls schwer mit ihr haben. Normal, dass keiner es langfristig bei ihr aushielt. »Noli me tangere«, na gut, wenn sie es nicht anders wollte. Auch ich war in ihrem Magnetfeld nur Gast. Dabei bewegte sie sich auf den ersten Blick völlig unbefangen, sehr mädchenhaft, sehr freundlich, und gleichzeitig uralt. Sie trug immer Rot, gelegentlich Braun oder Purpur, Farben, die zu einer Rothaarigen eigentlich nicht passten, dazu eine rote Blüte im Haar oder – im Winter – ein rotes Bandana. Ihre Haut war milchweiß, die Sommersprossen überdeckte sie mit Puder, die hellen Brauen auch, sodass die großen Augen umso faszinierender schimmerten. Zwischen Stirn und Nase zeigte sich gelegentlich eine dünne Falte, die kam und ging, im Rhythmus ihrer wechselnden Gedanken. Sie war mager, ungelenkig und gleichzeitig wie aus Gummi, mit Beinen, überlang und dünn, die bei jedem Schritt ihrer schwindelerregenden High Heels zu stolpern schienen, ihren grazilen Körper aber unverwandt im Gleichgewicht trugen, als ob sie gewichtslos schwebte. Etwas Unnahbares, Gebieterisches war an ihr, und gleichzeitig etwas Derbes, Erdverhaftetes. Dünn, wie sie war, konnte sie Unmengen von Nahrung verschlingen. Als ob ihr diese Maßlosigkeit als Ersatz für einen geheimen Appetit auf Macht und
Herrschaft diente. Was mich aber am meisten in Erstaunen versetzte, war der Ernst, sozusagen die Strenge ihrer Lebensführung: Die Männer, die ihren Weg kreuzten, verschwanden rasch wieder, husch, husch. Partys besuchte sie seltener als ich, sie rauchte nicht, sie trank nicht – außer Bier, weil ihr Bier nichts ausmachte. Selbst den häufigen Gang zur Toilette – bei biertrinkenden Frauen ein notwendiges Übel – konnte sie sich ersparen. Ich sagte, dass ich das seltsam fand. Sie lächelte ein wenig.
    »Ich habe einen überdurchschnittlich schnellen Stoffwechsel und müsste eigentlich ständig aufs Klo. Aber normal war ich ja nie.«
    »Wer ist schon normal?«
    »Klar doch, du!«
    »Auch nur so eine Redensart«, sagte ich, worauf sie amüsiert blinzelte, bevor ihr Gesicht wieder ernst wurde.
    »Ich war in Valletta und habe Miranda geholt. Mein Vater ist gestorben.«
    Ich war geschockt.
    »Oh, das tut mir leid, Viviane!«
    Sie zog ihre knochigen Schultern hoch.
    »Er war total zerstochen. Er setzte die Nadel sogar zwischen die Zehen, weil da noch ein paar Stücke unversehrte Haut waren. Und zum Schluss nahm er nur noch Methadon. Er hatte auch Knochentuberkulose. Die Beine gaben einfach unter ihm nach. Ich kam von Los Angeles, machte schnell, ich wollte ihn noch ein letztes Mal sehen. Aber Miranda hatte ihn schon in ein Flugzeug gesetzt und zu seiner Mutter nach Thessaloniki geschickt. Wie ein lästiges Paket ist sie ihn losgeworden. Dabei lebten sie seit dreißig Jahren zusammen. Aber Alexis kam aus einer sehr traditionellen Familie, hast du das gewusst? Miranda sagte, sie könne griechische Bestattungen nicht ertragen, den Popen, das Geschrei, die Totenlieder, den Weihrauch. Jetzt liegt Alexis still und lächelnd da, er ist noch nicht weit
weg. Er weiß ja, dass ich um ihn trauere. Manchmal singt er mir sogar ein griechisches Lied vor, ein ›Rembetiko‹. Das Lied erzählt von einem Nachtfalter, der sich in der Sonne die Flügel verbrennt. Es klingt herzzerreißend. Und seine Stimme hört sich wunderschön an, ein ganz sanfter, klarer Tenor …«
    Wann sang er ihr was vor? Früher? Oder meinte sie jetzt,

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