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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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rede mit ihr nicht darüber, sei so gut!«
    Ich legte meine Hand auf ihre, die klein und schmal war, mit ganz dünnen Knochen.
    »Nein, ich werde nicht darüber reden.«
    Aber innerlich war ich sehr erregt. Mir würde man nicht die Flügel stutzen! Ich war eine andere Generation, ichbezogen und rücksichtslos. Keine erbaulichen Eigenschaften freilich, in mancherlei Hinsicht aber erleichterten sie das Leben.
    Am Ende der Ferien fragte mich Großmutter: »Wann kommst du wieder?« Und Großvater setzte hinzu, mit einem Schimmer von Besorgnis in der Stimme: »Das Gästezimmer ist doch nicht zu kalt, oder? Wenn es dir zu kalt ist, musst du es sagen. Wir geben dir noch eine Decke. Und Omas rote Grütze, die magst du doch?«
    Ich verstand, dass sie in mir eine Art Ersatztochter suchten, eine neue Ingrid, unkomplizierter und vielleicht um eine Spur klüger. Und auch, dass sie sich einsam fühlten in dem beruhigten Spiel ereignislos gleitender Tage. Ich versetzte sie in jene Zeit zurück, als sie noch jung waren und Ingrid noch unbeschwert. Gewiss hatte es Streit gegeben – Großmutter hatte ihren Dickschädel, und Ingrid auch –, aber im Nachhinein zählte das alles nicht mehr. Jeder Augenblick meiner Anwesenheit
war für sie ein unermesslicher Trost. Für sie, die Alten, bedeutete Leben jetzt nur noch, sich zu erinnern. Und auch für mich begann es bereits, dies Wiedererleben vergangener Tage. Alles kehrt dahin und kommt nie wieder. Giovanni? Immerzu überkam mich die gleiche Vorstellung, die allmählich zu einer Obsession wurde: Ob es mir wohl gelang, ihn, den wirklichen Menschen, für mich ganz allein neu zu erträumen? War das zu machen? Ging das denn? Konnte die Einbildung deutlich wie die Wirklichkeit werden? Der wunderliche Glaube liegt darin, dachte ich, dass wir meinen, dazu fähig zu sein. Eine Utopie, die ins Nichts führte. Schwamm drüber!
    Die Großeltern brachten mich in ihrem kleinen Wagen zum Bahnhof. Lore saß am Steuer, Großvater stützte sich auf seine Krücke. Der Zug war schon da, der Platz für mich reserviert. Weil der Zug hier erst eingesetzt wurde, waren noch keine Leute im Abteil. In einigen Stunden würde ich in Berlin sein, und von da aus ging am gleichen Abend mein Flug nach London. Wir umarmten uns, und Lore steckte mir noch eine Tüte Zimtplätzen zu – selbst gebacken natürlich –, mit einer hübsch gebundenen rosa Schleife versehen. Dann standen beide da, wehmütig lächelnd, gestenlos und mit Verlassenheit in den Augen. Ich zog das Fenster auf, lächelte zurück, während der starke Sommerwind mein Haar zerzauste. Wie das beim Abschied oft vorkommt, wussten wir in den letzten Minuten nicht mehr, worüber wir uns unterhalten konnten. Dann, mit kräftigem Ruck, fuhr der Zug an. Ich winkte, die Großeltern winkten zurück, zwei kleine, bunt gekleidete alte Leute. Erst, als ich sie nicht mehr sah, schob ich das Fenster hoch und setzte mich. Ich war so gerührt, dass ich das Zellophan aufriss, die dünne Schleife hastig zerknüllte und ein Zimtplätzchen nach dem anderen in mich hineinstopfte, wie ein trostsuchendes Kind.
    Ich hatte versprochen, dass ich wiederkommen würde. Ich hielt Wort, ein Jahr später, und brachte Peter mit. Es wurde
ein verregneter Sommer. Wir machten ausgedehnte Radtouren, holten uns beide eine Erkältung und sprachen ausführlich über Dinge, über die wir sonst womöglich nie gesprochen hätten.

29. Kapitel
    W eitere zwei Jahre in London. In meiner sturen Art weigerte ich mich, meine persönliche Lebensauffassung dem Mainstream zu unterwerfen. Aber ich wollte nicht anecken und behielt vieles für mich, widerstand auch der Versuchung, Pragmatismus mit Utopie zu verwechseln. Die Dinge änderten sich eben nicht, bloß weil ich es wollte, sondern weil die Notwendigkeit sie dazu zwang. Immerhin konnte ich mit dem, was mir beigebracht wurde, Unordnung in die schöne alte Ordnung bringen. Ich traute mir das wohl zu, trug ich doch in mir eine natürliche Aggression, die recht solide war. Und auf Malta gab es reichlich Dinge, die mich störten, Widerstände, die ich aus dem Weg räumen wollte. Der sprichwörtliche Kampf gegen die Windmühlen, aber warum auch nicht?
    »Du warst ja immer heroisch«, sagte Viviane, als wir uns in einem Pub am Borough Market trafen. War sie in London, sahen wir uns von Zeit zu Zeit, immer im gleichen Pub. Sie war gerne in diesem Viertel am südlichen Themseufer, wo es südländisch nach Früchten und Gewürzen roch, wo Tag und Nacht

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