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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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da er tot war? Bei Viviane wusste man das nie so genau. Auf die eine oder andere Weise war sie stets in ihren Tagträumen gefangen. Wir erleben den Tod mit Neugier und Furcht. Einige Menschen – die Mutigen unter uns – wagen sich bis an den Rand des Unbekannten. Von dort aus blicken sie, die Augen geschärft und die Ohren gespitzt, über den Abgrund. Das war nichts für mich, und ich erschauerte, während Viviane, wie wir es von ihr gewohnt waren, stufenweise in die Wirklichkeit zurückkehrte. Ihr verschwommener Blick klärte sich, ihre Augen funkelten durchdringend und kühl. Diesem Blick entging nichts, nicht die geringste Kleinigkeit.
    »Ich fragte Miranda nicht, warum sie so feige war und Alexis einfach abgeschoben hat. Ich kannte ja die Antwort.«
    Ihr Messer teilte geschickt die Fischpastete. Sie kaute langsam und mit Nachdruck, genoss jeden Bissen.
    »Und was macht Miranda jetzt?«
    »Die Pension gehört ja nicht ihr, sie war nur gepachtet. Der Besitzer hatte es satt, weil Miranda nichts mehr sauber machte und die Gäste ausblieben. Er kündigte ihr den Vertrag. Er will das Haus abreißen, Ferienwohnungen bauen. Schließlich ist Miranda nicht mittellos. Du weißt doch, Grandpa hat ihr den ›Taubenschlag‹ in Old Sarum vermacht. Dort züchteten wir früher Schafe und Schweine. Grandpa hatte auch seine Pferde dort. Old Sarum, bei Salisbury, du kennst ja den Ort.«
    »Nein.«
    »Wie, du hast noch nie die Kathedrale gesehen?« Viviane schien überrascht.
    »Die stammt aus dem dreizehnten Jahrhundert und hat einen
besonderen Turm, habe ich erfahren. Aber Kirchen interessieren mich nicht. Auf Malta steht ja eine an jeder Straßenecke.«
    Viviane zog die mageren Schultern hoch.
    »Na gut, wenn du so denkst. Aber es lohnt sich trotzdem. Rein informativ, wenn dir das besser gefällt. Der Turm ist hundertzwanzig Meter hoch und spitz wie eine Nadel, ein bauwerkliches Wunder! Schaust du empor, wird dir duselig. Du kannst hinaufsteigen, das tun viele. Der Treppenschacht empfängt Licht nur durch Schießscharten. Du steigst und steigst, der Rücken zieht, du kannst kaum noch die Beine bewegen. Und kommst du von der Treppe auf die Plattform hinaus, siehst du bis nach Stonehenge. Der Turm legt seinen Schatten über die Landschaft: Hier bin ich! Aber die Ruinen bilden ein großes Netzwerk, eine Energiezentrale, einen magischen Kreis. Und in der Mitte schläft die Göttin. Der Turm zwingt ihr seine Gegenwart auf, aber der Kreis ist Urzelle des Glaubens, und alle Kathedralen und Kirchen sind nur Variationen und Fantasien darüber.«
    Was reimt sie sich da wieder zusammen?, dachte ich. Esoterik und Science-Fiction, offenbar hatte sie den gleichen Spleen wie früher. Aber sie war kein Kind mehr, sondern erfahren in allerlei Dingen der Welt, erfahrener in gewisser Weise als ich, die immer noch recht naiv war. Allmählich kam mir ihre Art bedenklich vor. Ich hatte anderes im Kopf und verlor schnell den Faden.
    »Persea«, sagte ich trotzdem, um ihr eine Freude zu machen.
    »Ah, du entsinnst dich?«, rief sie zufrieden. »Bravo! Aber Persea hat viele andere Namen. Sie überlebte heimlich, auch wenn die Götter Roms und dann der Gott der Christen sie verdrängen wollten. Schau um dich, sie ist überall! Und hohe Türme, die imponieren ihr nicht. Eines Tages werden sie ja nicht mehr da sein.«

    Es war unheimlich, woher sie das jedes Mal hatte. Sie erzählte, was eine innere Stimme, nur für sie allein vernehmbar, ihr zu diktierten schien. Offenkundig waren ihre Anknüpfungen nie gewesen, dafür sehr eindrucksvoll. Aber für mich war es nun genug, sie hatte mein Ohr nicht mehr.
    »Wenn du das glaubst …«, sagte ich.
    Sie antwortete in vernünftigem Tonfall.
    »Es ist nicht so, wie ich es zu glauben wünsche. Es ist wahr.«
    »Also gut. Ich warte darauf.«
    »Du bist zu vernünftig, Alessa, das warst du schon immer. Schmeiß mal endlich deine Vernunft über Bord!«
    Ich war ein bisschen pikiert.
    »Stonehenge ist ja ständig überfüllt. Ich will nicht unter die vielen Leute. Das, was wir erlebt haben, war schöner und kommt nie wieder.«
    Sie steckte sich einen Bissen in den Mund, kaute, schluckte.
    »Ach, stören dich die Besucher? Mich nicht. Ich schaue an ihnen vorbei, von Hügel zu Hügel, wo alles bald näher erscheint und bald weit weg. Ich sehen die Geister, wenn sie sich formen. In Stonehenge ist alles Magie. Aber Miranda fühlt nichts, sieht nichts. Die Gabe hat sie sich mit Rauchen, Kiffen und Koksen vertrieben. Als

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