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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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glücklich, aber dann wache ich morgens mit dem Gefühl auf, dass es ja schon wieder vorbei ist und ohnehin nicht viel bedeutet. Kennst du das auch?«
    »Meinst du das Gefühl der Zeit, die wir nicht anhalten können?«
    »Genau das meine ich«, sagte sie etwas gönnerhaft. »Es sei denn, wir bringen etwas aus uns hervor. Und ich habe noch nichts aus mir hervorgebracht. Die Songs, die ich schreibe, hängen bloß so in der Luft. Sie erzählen von Tod, Sinnlosigkeit und Einsamkeit, aber keiner hört auf die Worte, nur der Lärm zählt, das Bum-bum-bum der Bässe, der Rhythmus. Das Publikum kreischt und hüpft und wackelt mit dem Po. Ja, und das soll alles sein? Es gibt etwas Liebevolles, Tröstliches in meinen Songs, aber es wird nicht gehört. Und am Ende finde ich das beschissen. Meine Kerle denken, ich hätte einen Klaps. Aber in Japan hab ich Dinge erlebt, deren Existenz ich nie vermutet hätte. Ich sagte zu mir selbst: Moment mal, was ist das? Hier gibt es etwas, was ich brauche und mir auch aneignen will. Ich will gar nicht behaupten, dass es besser wäre als das andere … Es ist nur, dass es zu mir passt. Da ist etwas, das mich liebt und auf mich wartet. Ich kann nicht sagen, was es ist. Eine Art Geist vielleicht, wie … wie Persea damals, verstehst du? Japan ist für mich wie ein geheimer Ort, als ob da jemand ist, der alles in beiden Händen hält, jemand, der mich liebt. Es ist dort, in Japan, und viel realer als überall sonst auf der Welt. Aber jedenfalls ist es kein Mann.«
    »Ja, was ist es denn?«
    »Es ist die Ruhe«, sagte sie. »Die glückliche Ruhe oder auch die vorherbestimmte.«

    »In Japan«, sagte ich, »kann von Ruhe kaum die Rede sein. Da gibt es Erdbeben, Flutwellen, Atomunfälle, die schrecklichsten Katastrophen. Japan ist ein tragisches Land. Ganz ehrlich, deine Rockkonzerte gefallen mir besser. Da bleibt der Boden stabil.«
    »Nicht immer.« Sie grinste. »Und das andere stimmt auch nicht. Japan ist ein fröhliches Land. Die Menschen dort wissen, dass mit der Brüchigkeit ihres Lebens alles Nachdenken beginnt. Die Drohung eines Untergangs macht die Menschen stärker, schöpferischer und vielleicht auch besser. Wenn ich könnte, würde ich schon morgen abreisen.«
    »Und was wirst du in Japan tun?«
    »Ich werde bei einem Töpfer in die Lehre gehen. Erinnerst du dich, wie es war, als wir in der Grabkammer die kleine schlafende Frau fanden?«
    Ich nickte mit zugeschnürter Kehle, und sie fuhr fort:
    »Ich hielt sie in den Händen. Sie war alt, so alt, sie war gleichzeitig Frau und Lehm. Es war, als ob die Erde sie aus sich selbst erschaffen hätte, aber das stimmte ja nicht. So beschränkt, wie ich damals war, wusste ich bereits, dass es die Hand eines Menschen war. Und meine Hände … siehst du, wie stark sie sind? Diese verdammte Gitarre, du ahnst nicht, wie schwer die ist! Können meine Hände diese Gitarre halten, sind sie auch stark genug, um die Erde zu kneten. Ich habe in Japan mit einem Töpfer gesprochen, habe ihm ganz triviale Fragen gestellt, als suchte ich Hilfe bei… nun, sagen wir mal, bei einer Steuererklärung!«
    »Was für ein Vergleich«, meinte ich lachend.
    Sie lachte auch.
    »Ich will ja nur sagen, dass wir uns sachlich unterhalten haben. Eine japanische Freundin war dabei und übersetzte. Der Meister saß vor mir, ausdruckslos und unbeweglich wie ein Stück Holz. Ich dachte, ich muss ihm auf die Nerven gehen, und gleich setzt er mich vor die Tür! Aber nein: Er redete
irgendetwas, und ich wurde schon ganz kribbelig. Ich musste ja immer warten, bis Akiko übersetzt hatte. Aber er war plötzlich wie verwandelt. Er hatte ein Licht in den Augen und Gesten wie ein Tänzer. Er sagte, dass er mir die Technik wohl beibringen könnte. Jenseits davon aber läge ein anderer, ein wesentlicher Bereich. Hier käme es auf die Fähigkeit des Schülers an, sein Werk mit der ganzen Realität seines Lebens zu füllen und darzustellen. Jeder Schüler sei auf sich allein gestellt. Ich sollte also stets im Auge behalten, dass auch das Nicht-Lehrbare Gegenstand meiner Arbeit sei. Du ahnst es nicht, Alessa, aber genau das war es, was ich hören wollte! Und als ich ihm sagte, dass ich in zwei Jahren kommen würde, verbeugte er sich und erwiderte: ›Es wird mir eine Ehre sein, Sie zu unterrichten.‹«
    Ich starrte sie an.
    »Hat er das wirklich gesagt?«
    Sie lächelte.
    »Der Mann hat anderes zu tun, als seine Zeit mit Geschwätz zu vergeuden. Jedenfalls gebe ich noch die Gastspiele,

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