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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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Lavinia ihre Tochter fahren ließ. ›Ich fühlte mich nicht wohl‹, erzählte Miranda ihrem Vater, und nach einer Weile habe Lavinia gesagt: ›Komm, lass mich lieber fahren.‹ Sie wiederholte es immer wieder, allen Augenzeugen zum Trotz, auch, als ein Polizeibeamter sie befragte. Schließlich wurde sie mit einer schweren Depression in eine Klinik eingeliefert, und auf weitere Vernehmungen wurde verzichtet.
    Willbur musste eine Strafe zahlen, weil er seiner minderjährigen Tochter nicht verboten hatte zu fahren. Das war alles.
Und auch später gab Miranda die Wahrheit nie preis. Womöglich war sie in ihren Wahnvorstellungen fest davon überzeugt, dass sich die Wirklichkeit zurechtbiegen ließ: ›Wenn ich ganz fest daran glaube, wird es sich wohl so zugetragen haben.‹ Es hat wahrscheinlich sehr lange gedauert, bis sie endlich begriff, was sie angerichtet hatte. Denn sie hatte Lavinia sehr geliebt, ihre Mutter war stets ihr Vorbild gewesen. Am Ende lernte sie dann, mit dieser Lüge zu leben. Sie behauptet noch heute, dass sie sich nicht daran erinnern kann, jemals gelogen zu haben. Und damit muss auch ich mich abfinden.«
    Ich schaute zu, wie Viviane aus der Vergangenheit auftauchte. Sie war etwas verstört nach all dem Erinnern. Ihr großflächiges Gesicht hatte jede Leuchtkraft verloren. Sehr langsam griff sie nach ihrem Glas. Ihre Hände zitterten. Ich hielt das Glas, damit sie trinken konnte. Sie nahm einen langen Schluck. Ich stellte behutsam das Glas wieder vor ihr hin.
    »Deine Geschichte geht mir unter die Haut.«
    »Ich erzähle sie auch kein zweites Mal.«
    »Wo ist Miranda jetzt?«, fragte ich.
    »Auf den Malediven«, antwortete sie, wieder gleichmütig. »Sie hat sich dort einen Bungalow gekauft und lebt mit einem indischen Koch zusammen, der ihr streng vegetarische Kost vorsetzt und ihr Yoga beibringt. Kürzlich mailte sie mir, dass es ihr viel besser ginge. Kein Alkohol mehr und kein Koks. Sie dachte wohl, dass ich jetzt Freudensprünge mache, aber ich kann sie nicht mehr ernst nehmen. Sie schafft es einfach nicht, Ordnung in ihr Leben zu bringen. Sie wird es nie schaffen. Das alles steckt zu tief in ihr drin und hat sich sogar auf mich übertragen. Die Autos, die mich nachts am Schlafen hinderten, die kreischenden Bremsen, weißt du noch? Das waren Mirandas Albträume, die ich am eigenen Leib spürte. Deswegen brauchte ich den Lärm, um das nicht mehr zu hören. Jetzt aber Schluss mit dem Zeug! Jetzt suche ich nur noch die Stille.«

    »In der Rockmusik?«, fragte ich perplex.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Noch zwei Jahre, dann höre ich auf. Grandpa wusste genau, dass Musik für mich nur so eine Phase war. Warum hätte er mir sonst die vielen Bücher hinterlassen, die Bilder, die Skulpturen? Er hat mir alles anvertraut, mir mehr gegeben, als ich verdiene. Wir brauchen viel Zeit, fast das halbe Leben, um zu begreifen, wer wir eigentlich sind.«
    Sie zeigte ein kleines, ernüchtertes Lächeln und zitierte halblaut eine Zeile von Louis Aragon:
    »Le temps d’apprendre à vivre, il est déjà trop tard …«
    In meiner Erinnerung sah ich das kleine Mädchen von einst, mit Schorf um den Mund und die dünnen Beine voller Mückenstiche. Ich entsann mich ihrer verwahrlosten Kindheit, die vieles zu erklären schien und gar nichts erklärte. Sie war umgeben gewesen von hässlichen Dingen, von Darmerkrankungen, blutigen Spritzen, gebrauchten Kondomen. Sie hatte Heroinsüchtige in verschiedenen Stadien der Verwesung gesehen. Sie glich einem Schmetterling, der mit zerfetzten Flügeln über eine Müllhalde taumelt und doch nicht müde wird, duftende Blüten und Gräser zu suchen. Diese Augenblicke äußerster Müdigkeit, wenn eine extreme Anstrengung Körper und Geist immer wieder aufrichteten, hatte Viviane durchgemacht, bis ihre Flügel heilten.
    »Und was wirst du tun«, fragte ich, »wenn du keine Musik mehr machst?«
    Sie antwortete in völlig sachlichem Ton.
    »Ich werde nach Japan gehen.«
    Ich starrte sie an.
    »Bist du schon mal dort gewesen?«
    »Wir traten in Tokio, in Kyoto und noch in einigen anderen Großstädten auf. Dann habe ich meine Kerle nach Hause geschickt und bin drei Monate lang in Japan geblieben.«
    »Warum?«

    Für ein paar Sekunden hing sie ihren Gedanken nach. Dann sagte sie:
    »Gute Frage! Ja, warum eigentlich? Hör zu, ich vereinfache: Ich habe ein Haus, Verträge, einen Manager, eine Masseurin. Ich habe Erfolg, ich fahre in der Welt herum, bin auf der Bühne oft herrlich

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