Mondtaenzerin
Männersache, wie du weißt. Aber Frauen bringen neue Ideen. Sieh mich nur an.« Sie breitete ihre schönen Arme aus, wobei sie etwas boshaft lachte. »Ich übe ein öffentliches Amt aus. Noch vor zehn Jahren hatte hinter meinem Schreibtisch ein Herr in schwarzem Anzug und weißem Hemd gesessen, mit einem dicken Bauch und einer Zigarette im Mund. Nein, es ist keine Karikatur«, setzte sie amüsiert hinzu. »Wir Frauen sind auf dem Vormarsch. Und ich verdiene nicht weniger als ein Mann. Die Löhne sind per Gesetz angeglichen und, wie du weißt, hat jede Mutter Anrecht auf Erziehungsurlaub.«
»Ich stelle fest«, meinte ich, »dass sich hier in letzter Zeit viel getan hat.«
»Nicht genug. Wir sind die Letzten in Europa, die sich nicht scheiden lassen können, aber bald gibt es wieder Wahlen.«
Zwischen den Parteien kam es nicht selten zu verbalen Verunglimpfungen,
wenn nicht zu handfesten Raufereien. Das war Tradition. Immerhin hatte Adrianas Partei schon große Teile des Landes zum Naturschutzgebiet erklärt. Malta war der europäischen Naturschutzkommission beigetreten und hatte das Abkommen über die Erhaltung wild wachsender Pflanzen und wild lebender Tiere unterzeichnet. Obwohl das neue Gesetz zum Schutz der Zugvögel böses Blut brachte, wurden auch die offiziellen Jagdzeiten eingeschränkt.
»Wir haben hier eine richtige kleine Mafia«, sagte Adriana. »Leute, die sich nicht gerne in ihrem Gewerbe einschränken lassen. Auch das Schmuggelgeschäft wird für sie schwieriger. Und seitdem die Seepolizei die Küsten überwacht, haben die Schlepper mehr Mühe, Afrikaner einzuschleusen. Die armen Kerle werden schamlos ausgebeutet, ganze Familien legen Geld zusammen, schicken ihre arbeitslosen Söhne unter Lebensgefahr nach Europa. Die Schlepper kassieren das Geld, die Unglücklichen werden irgendwo ausgeladen. Sie sehen sich auf der Schwelle zum Paradies und landen im Vorhof zur Hölle, denn fast jedes Asylgesuch wird abgelehnt.«
Adriana seufzte voll echtem Mitgefühl.
»Das Ganze ist menschlich untragbar, zumal sich die Schlepper hemmungslos bereichern. Dann und wann schnappen wir einen, aber leider konnten wir das Wespennest noch nicht ausräuchern. Der übliche Mangel an Beweisen. Und Verbrechen verjähren, darauf zählen sie ja. Darüber hinaus müssen wir vorsichtig sein. Bei uns sind schon etliche Drohbriefe eingegangen. Früher hatten diese Leute noch eine Art rustikale Ehre im Bauch. Heute ist das leider vorbei, sie sind nur noch gewalttätig.«
»Ja, ich weiß«, sagte ich leise.
Sie nickte, ohne zu merken, dass ich gewisse Gedanken nicht aussprach, und kam auf das eigentliche Thema, meine zukünftige Aufgabe, zu sprechen. Ich dachte, wie viel leichter das Leben doch war, wenn man einen Menschen traf, der die
eigene Gesinnung teilte. Adriana suchte keine gefällige Erklärungsmaschine, sondern einen Menschen, der den Traum der Vergangenheit neu formen konnte, der die Einwohner in ihrer Umwelt sah, die Tiere in ihrer Wildnis; ein Mensch, der Deutungen und Namen kannte und Dialektbezeichnungen übersetzen konnte. Der mehrere Sprachen beherrschte und auch bereit war, über Politik zu debattieren. Adriana sicherte mir zu, dass das Touristenamt eine Auswahl treffen würde: Nur Leute, die sich wirklich für die Vergangenheit Maltas, für Geschichte und Umwelt interessierten, würden mir anvertraut werden. Reisende, die nicht »Sea, Sex and Sun«, sondern ein geistiges Erlebnis suchten. »Zwölf bis fünfzehn Teilnehmer, nie mehr«, sagte Adriana. Zwischen den Reisenden sollte ein Austausch stattfinden. Freundschaften, die auf diese Weise entstanden, ließen sich nicht in Pauschalen definieren. Ein Kleinbus mit Chauffeur würde uns zur Verfügung stehen. Allerdings musste ich mich um die Reservierungen in Restaurants kümmern, und Trinkgeld durfte ich nicht annehmen. Mein Gehalt – sie nannte eine Summe – war gut, weil die Arbeitszeit ja saisonbedingt und nicht regelmäßig war. Ich sollte sozusagen auf Abruf bereitstehen und hatte im Prinzip nur einen freien Tag in der Woche, den Sonntag. Aber das machte nichts. Es war ein Traumjob, eine zweite Chance wie diese würde mir im Augenblick nicht geboten werden. Ich unterschrieb den Vertrag.
33. Kapitel
E ine Zeit lang hatte ich es richtig schön. Die Touristen, die ich zu führen hatte, waren gebildet. Akademiker zumeist, die Maltas kulturellen Hintergrund bereits kannten, die aber mehr empirische Erfahrungen sammeln wollten. Sie interessierten sich
Weitere Kostenlose Bücher