Mondtaenzerin
den Menschen gegenüber keinen Hehl.
»Wind und Regen sind weniger bedrohlich als das Wegwerfen von Abfällen und Vandalismus.«
Allerdings wollten die Malteser keine modernen Repliken herstellen, wie das die Franzosen machten.
»Und Computersimulationen?«, fragte ich.
»Die sind interessant, aber steril. Wir sollten langfristig denken und uns keine Laxheit erlauben. Touristen, die ein Stück Malerei abkratzen, Steine als Souvenir mitnehmen oder ihren unbedeutenden Namen in eine Säule ritzen, müssen wir auf die Finger klopfen.«
Ich entdeckte bei Adriana, Tochter aus einem alten Malteser Geschlecht, eine Fähigkeit zur Leidenschaft, die meiner eigenen entsprach. Gleichzeitig verstand sie es gut, sich ironisch abzugrenzen.
»Immerhin wollen wir die Touristen nicht wie einst die Türken mit Kanonenkugeln davonjagen! Ich denke eher an eine gepfefferte Buße.«
Was mir an Adriana gefiel, war, dass sie einfach und geradeheraus sprach und nicht praxisfern, wie das bei Beamten oft vorkam. Ich erzählte von der Zeit, als wir uns in den Grabkammern von Hal Saflieni so unbeschwert bewegten wie kleine, mutige Fabelwesen. Ein Teil der Geschichte war Adriana bekannt. Doch als ich ihr von Viviane erzählte, von ihren Visionen und Traumvorstellungen, wurde ihr Blick durchdringend. Es war das erste Mal, dass ich davon sprach. Früher hatte mich stets eine innere Schranke daran gehindert.
»Sie glaubte daran, verstehst du?«, sagte ich. »Sie hatte der Göttin sogar einen Namen gegeben: Persea.«
»Himmel! Mich überläuft es kalt.« Adriana verschränkte die Arme.
»Woher hatte sie diesen Namen?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe immer gedacht, dass sie ihn erfunden hat.«
Adriana sah den Kellner an und hob zwei Finger. Noch zwei Kaffee, bitte!
»Du kennst den Mythos«, sagte sie dann. »Perseus war halb Gott durch seinen Vater, Zeus, und halb Mensch durch seine Mutter Danae, die ihn in einem Goldregen empfangen hatte. Es heißt, Acrisius, Danaes Vater, fürchtete sich sehr. Denn das Orakel hatte geweissagt, dass sein Sohn, sobald er ein Mann war, ihn töten würde. Folglich setzte er das Kind mit seiner Mutter in eine Barke und übergab sie den Meereswogen. Die Barke strandete auf einer Insel. Der Name dieser Insel wird nicht genannt; ich für meinen Teil glaube, dass es Malta war. Hier wuchs Perseus zum starken, gefürchteten Kämpfer heran. Er bezwang die furchterregende Medusa, die alle, die sie betrachteten, in Stein verwandelte. Aber Perseus hielt ihr einen Spiegel vor, den ihm die Göttin Athena überreicht hatte. Medusa erschrak vor ihrem eigenen Anblick, sodass Perseus sie vernichten konnte. Das hast du gewiss in der Schule gelernt?«
Ich nickte, und Adriana schüttete eine ganze Menge Zucker in ihren Kaffee.
»Laut einer Überlieferung, die mir in Griechenland eine alte Frau erzählte, hatte Zeus mit Danae noch eine Tochter gezeugt, Persea. Persea wurde im alten Wissen der Sterndeutung erzogen. Als Perseus auf der Insel starb, betete seine Schwester zur Göttin Athena. Die Göttin beklagte den Verlust ihres guten Dieners und verwandelte ihn in ein Sternbild. Zu Ehren ihres Bruders ließ Persea einen Tempel bauen; zur Zeit der Wintersonnenwende fiel sie in einen heiligen Schlaf. Im Traum kam ihr Bruder in Menschengestalt zu ihr. Mit ihrer Vereinigung und der steigenden Kraft der Sonne und der Gestirne wuchs der Geist der Getreidesaat, und die Ernte war gesichert. In Griechenland und auch auf Zypern wird Persea als Göttin des Ackerbaus verehrt. Und auf Malta?«
Sie sah mich an und beantwortete selbst ihre Frage.
»Von dem, was im Neolithikum geschah, wissen wir ja kaum etwas.«
»Vivianes Vater, Alexis, war Grieche«, sagte ich. »Vielleicht hat er ihr die Legende erzählt?«
»Du könntest ihn mal fragen.«
»Er war ein verkommener Architekturstudent, ein Junkie. Er starb im vergangenen Jahr.«
»Vielleicht hatte er Viviane davon erzählt, und sie hat es lediglich vergessen«, murmelte Adriana zwischen zwei Schluck Kaffee. »Alles, was wir erleben oder was uns erzählt wird, bleibt in unserem Gedächtnis haften. Manchmal – noch viele Jahre danach – sickert etwas durch. Vielleicht hatte Viviane einen Punkt gefunden, wo etwas durchsickerte? Nun, wer weiß?«
Es war angenehm luftig im Innenhof. Wir saßen an einem kleinen Tisch und unterhielten uns wie Freundinnen. Adrianas Begeisterung und Liebe für ihre Heimat waren greifbar.
»Wir mischen stark in der Politik mit. Politik war früher
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