Mondtaenzerin
gewaltige Soundmaterial war schon fast vollständig abgebaut. Giovanni ging mit seinen eigentümlich langen Wolfsschritten voraus, wobei er mich an der Hand hielt, eine Geste, die Peter natürlich bemerkte.
Was er dabei empfand, konnte ich mir gut vorstellen. Viviane trug noch ihre rote Blüte im Haar, aber sie hatte sich umgezogen. Schmale Jeans betonten ihre überlangen Beine, dazu trug sie unter ihrem Perfecto ein rotes, mit Pailletten besticktes Top. Ein paar Atemzüge lang stand sie da, vom Licht der Scheinwerfer übergossen, bis unvermittelt das Licht ausging: Die Musiker hatten die Scheinwerfer ausgeschaltet. Es waren nur noch die Sterne, die Viviane beleuchteten. Ihr rotes Haar umrahmte sie wie Goldfiligran, als sie uns entgegentrat, drei unbeholfene Schritte, bevor sie Peter an den Schultern packte, ihr Gesicht an seines schmiegte, als söge sie die Ausdünstung seiner Haut in sich ein. Dann löste sie sich von ihm und betrachtete ihn von Kopf bis Fuß. Unerwartet brach sie in herzliches Gelächter aus.
»Du bist fett geworden!«
»Ach, findest du?«, fragte Peter, etwas betroffen.
Sie blinzelte verschmitzt.
»Ja, ich kann es riechen. Wenn du nur von Pizza lebst …«
»Pizza kann ich gratis essen«, sagte Peter.
»Aber nicht zu viel, ja?«
Sie drohte ihm schelmisch mit dem Finger, bevor ihr Lächeln erlosch und sie sich an Giovanni wandte. Dabei wusste ich mit untrüglicher Sicherheit, dass sie nur ihn die ganze Zeit im Auge behalten hatte. Lautlos trat sie einen vorsichtigen Schritt, dann noch einen auf ihn zu, reckte den Kopf und kniff dabei die Augen zusammen, als ob sie ihn besser sehen wollte. Giovanni rührte sich nicht. Es war, als ob sie ihn in einen Zauberkreis gefangen nahm. Er bewegte nur leicht die Schultern, zeigte ein kleines, verlegenes Lächeln, unfähig oder nicht gewillt, sich aus diesem Zauberkreis zu lösen.
»Giovanni«, sagte sie halblaut, mit samtiger Stimme. Mir war klar, dass sich zwischen ihnen etwas vollzog, woran weder Peter noch ich teilhatten. Vivianes Augen waren jetzt groß und hell, etwas Flackerndes stand in ihnen. Sie ging noch einen
Schritt weiter, eine in sich gesammelte Kraft. Dann zog sie ihn in ihre Arme. Er drückte sie an sich, wiegte sie, ungestüm und zärtlich, als ob er sie in die Luft schwingen wollte. Schließlich hob sie den Kopf, nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn auf den Mund. Es war ein langer, erotischer Kuss, der, so sonderbar es war, nicht die geringste Eifersucht in mir auslöste. Sie beide allein wussten, was sich zwischen ihnen abspielte; und so musste es bleiben, ganz geheim. Viviane konnte mit ihm verfahren, wie sie wollte; es war, als ob ich ihr Giovanni überließ. Endlich trennten sich ihre Lippen. Giovanni machte sich aus ihren Armen frei, betrachtete sie, indem er sie an den Schultern hielt. Die Spur eines kleinen, traurigen Lächelns zuckte um seinen Mund. Mit überquellender Zärtlichkeit legte sie ihre Hand an Giovannis Gesicht, streichelte es sanft, folgte mit den Fingerspitzen den Windungen der Tätowierungen.
»Diese Muster… wie bist du darauf gekommen?«
Er hob weich die Schultern. Als er sprach, erschauerte ich. Merkwürdig schien mir die Stimme, die er plötzlich hatte, so aufwühlend monoton.
»Vielleicht, ohne dass ich zuerst wusste, warum. Vielleicht, weil ich einsam war, oder aus irgendeinem anderen Grund?«
»Aus was für einem anderen Grund denn auch sonst?«, fragte sie.
Er nickte vor sich hin.
»Der Erinnerung wegen. Ein Stück Heimat auf der Haut … und die Freiheit zum Tausch.«
Sie wiegte langsam den Kopf, als überdächte sie die Antwort.
»Ja, das ist ein faires Geschäft.«
Ihre Stimme klang herzlich. Er senkte den Blick, bevor er die Augen wieder hob. Er lächelte beinahe und fragte in gespielt scherzhaftem Ton:
»Und was sagt Persea dazu?«
Vivianes leicht hin und her schwankende Augen wichen nicht von seinem Gesicht. Die Schminke war verwischt, und auf ihren Wangen waren Schatten wie zerdrückte Nachtfalter. Sie hielt sich an seiner Schulter fest, krallte ihre Finger in seinen Arm. Dann antwortete sie schleppend, als ob sie jedes Wort nur mit Mühe über die Lippen brachte.
»Persea sagt, dass sie nicht um dich weinen will.«
40. Kapitel
W ir hatten zwei Tische auf der Terrasse vom Castille reserviert. Ein Tisch war für die Musiker. Wir saßen etwas abseits, dicht an der Mauer, von wo aus man die erleuchtete Stadt überblicken konnte. Fledermäuse schwirrten in wirren Kreisen
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