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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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Herzschlägen des Schlagzeugs, den vollen Klängen der Sitar, den Vibrationen des Saxophons. Oft drehte ein Musiker im Hintergrund das Volumen des Sounds voll auf, ohrenbetäubend. Viviane gab sich dieser Ekstase hin, die nie kakophonisch wurde, weil sie alles perfekt unter Kontrolle hielt. Sie rief die Klänge zurück, holte sie ein,
wenn sie ihrer Stimme entflohen. Manchmal bewegte sie sich ruhelos, leicht vornübergebeugt, als sammelte sie etwas ein, das keiner sehen konnte und das sie an sich zog. Dann wurde ihre Stimme klar und rein wie eine Kinderstimme. Ihre Melodien wurden zärtlich, einfach wie Wiegenlieder, sie hielt die Gitarre an sich gepresst, wie ein schlafendes Kind. Wechselte sie den Rhythmus, wechselte sie auch die Stimmlage. Es war, als ob sie sich über alle musikalischen Gewohnheiten hinwegsetzte, die Musik ging ebenso von ihrer Stimme aus wie von ihrem Körper, eine sichtbar gewordene Sprache der Empfindungen. Nichts daran war manieriert, alles wirkte vollkommen natürlich. Aus der Tiefe ihrer Kehle zog sie feine Tonfäden, gurrte, zirpte, hauchte Worte zart aus oder schrie sie in die Luft. Sie konnte kreischen wie ein Vogel, fauchen wie eine Großkatze. Manchmal summte sie fast tonlos; aus diesem Summen schienen unsichtbare Fäden zu wachsen, die sich über die Zuschauer legten, hauchfein wie wehende Spinnweben im Spätsommer. Und wie die Spinne es tut, schuf Viviane diese Fäden aus ihrem Mund, es war ein Akt der Magie. Irgendwann gab sie ein Zeichen; ein Musiker brachte ihr Wasser. Sie leerte das Glas in einem Zug, bevor sie die letzten Tropfen vor ihren Füßen ausleerte, wie eine Opfergabe, bevor ihre Stimme zu verzückter Leidenschaft anschwoll und die Energie ihrer Musik sich unmittelbar auf ihren Körper auswirkte, der zuckte und bebte und tanzte. Sie sang auf Englisch, und dann und wann auch auf Malti, was jedes Mal unter den Zuhörern Stürme der Begeisterung entfachte. Dabei wurde ihre Stimme dunkel, rau, als ob sie flüsternd Geheimnisse preisgab. Sie gebrauchte Ausdrücke und Vokabeln, die mir fremd waren, doch mir fiel auf, dass ältere Leute sie zu verstehen schienen und ergriffen lauschten. Woher kannte Viviane diese Worte? Wer hatte sie ihr, in ihrer freudlosen Kindheit, beigebracht? Ein Rätsel mehr, das sich zu den anderen Rätseln gesellte, zu dem Geheimnis, das sie zu verbergen schien. Etwas wirkte in ihr, eine Präsenz, uralt und bezwingend
und gleichzeitig sich selbst erneuernd, mit jedem Atemzug. Und die Zuhörer, so unterschiedlich sie sein mochten, schienen das zu spüren, denn sie blieben bis zur letzten Note in ihrem Bann. Erst eine Stunde später, als der Wind vom Meer kam und salzige Kühle brachte, verschwand Viviane nach einer letzten Verbeugung hinter dem schwarzen Vorhang. Die Zuhörer spendeten ausgelassen Applaus, pfiffen, hüpften, riefen ihren Namen im Takt ihrer klatschenden Hände. Sie wollten eine Zugabe, doch Viviane kam nicht wieder zum Vorschein. Schon machten sich die Musiker daran, die akustischen Installationen abzubauen und ihre Instrumente zu verpacken. Das würde einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Menge lichtete sich ein wenig, wobei viele, die das Feuerwerk sehen wollten, ihren Platz nicht verließen. Peter und ich warteten etwas abseits, an der Mauer, von der aus wir einen Teil des Hafenbeckens überblicken konnten, die schwarze-polierte Wasserfläche, die angestrahlten Wolkenfetzen, die großen Schiffe mit ihren Spiegelbildern und die Neonlichter der Restaurant-Boote. Die ganze Stadt war in weißes Licht getaucht, und von allen Seiten gingen Knallfrösche hoch.
    »Vivianes Stimme umfasst vier Oktaven«, sagte ich zu Peter, der sie zum ersten Mal gehört hatte. »Sie benutzt sie wie ein Instrument und kann damit machen, was sie will.«
    »Warum gibt sie eigentlich ihre Karriere auf? Wo sie doch Erfolg hat?«
    »Erfolg nimmt sie nicht mehr so wichtig«, sagte ich. »Aber man weiß bei ihr nie, was sie denkt.«
    »Und warum hat sie sich ausgerechnet Japan in den Kopf gesetzt? Die radioaktive Verseuchung, macht ihr die keine Angst?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Sie will das Los der Menschen teilen, die das Ungerechte so tapfer und geduldig tragen. Da muss etwas sein, was wir nicht kennen. Sie nennt es: die vorbestimmte Ruhe.«

    Peter schwieg; mir wäre es lieber gewesen, wenn er etwas gesagt hätte.
    Ich hatte das Gefühl, dass er sich nicht recht wohl fühlte. Aber das hing mit anderen Dingen zusammen. Und während wir an der Mauer standen,

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