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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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über das Dach, auf der Jagd nach Insekten. Valletta glänzte im Licht aller Scheinwerfer und der roten, blauen und grünen Beleuchtungen der Bühnen. Von oben sahen wir, wie die Menschen die langen geraden Straßen und die Durchgänge und Treppen zwischen den Häusern verstopften. Wirre Musikfetzen und das Dröhnen von Trommeln brandeten empor. Bald krachten Feuerwerke an verschiedenen Stellen, der Himmel überzog sich mit glühenden Farben, mit Feuerfontänen, mit wirr kreisenden, glutroten und smaragdgrünen Traumblüten, verfolgt von ihren verzerrten Spiegelbildern im Hafenbecken. Wir bestellten unsere schweren einheimischen Gerichte, Fischsuppe, geschmorte Tintenfische, Risotto mit Hackfleisch, Speck, Zwiebeln und Tomaten, im Ofen mit Eiern und Parmesan überbacken. Dazu Malteser Landwein, der noch, wie in alten Zeiten, in Holzkübeln abgefüllt wurde. Wir rückten zusammen und neigten die Köpfe zueinander. Die alte Vertrautheit stellte sich sofort wieder ein, wir bildeten ein Bollwerk gegen den Rest der Welt. Wir hatten unsere Erinnerungen, unsere Schlüsselworte; unser Einvernehmen war auffallend, erstaunlich, beinahe gespenstisch in seiner Innigkeit. Natürlich redeten wir zunächst nur vorsichtig miteinander, bis die Erinnerungen erwachten und zwischen
uns hin- und herflogen. Es lohnte sich, die Vergangenheit zu rekonstruieren, alte Bilder neu zu sehen, vergessene Empfindungen anders zu erleben. Wir hatten damals wirklich Besonderes erlebt, aber wir mussten erwachsen werden, um die Zusammenhänge zu erkennen, wie das Echo eines unendlichen Verlusts. Wir konnten neue Kombinationen in unserem Lebenskreis erwägen und sie präzise formulieren, doch das alles nützte nichts: Wir lebten nicht mehr im Paradies.
    »Weißt du noch?«
    »Ach, habe ich das wirklich gesagt?«
    »Wort für Wort!«
    »Was für eine Geschichte!«
    »Ja, ich entsinne mich!«
    Und dergleichen in einem fort. Wir waren ein geschlossenes Ganzes, eine Welt innerhalb der Welt. Das Wiederfinden von Fühlen und Denken rief Verlangen wach, riss verheilte Wunden wieder auf. Und doch lag alldem eine Gesetzmäßigkeit zugrunde. Unser Leben blieb, was es einst gewesen war, eine gemeinsame Fortbewegung, eine kreisende Spirale in Raum und Zeit. Wir redeten manchmal alle gleichzeitig und tranken nur wenig. Viviane trank nicht einmal ein Glas, ein paar Schlucke genügten, schon schlug ihr die Röte ins Gesicht. Sie war gefährlich reizvoll anzusehen, mit ihren mondhellen Augen, ihren geschminkten Lippen und dieser Blüte mit dem ölig betörenden Duft im Haar. Wir mussten sie unverwandt anschauen, und sie ließ es geschehen, aufreizend sicher, fast gleichgültig. Willig erlagen wir ihrer Magie, früher war das ja nicht anders gewesen. Und gleichzeitig ließ uns jedes Wort, jedes Lachen, die eigene Traurigkeit fühlen. Giovanni, dicht neben mir, erwiderte jeden Blick, sobald ich ihn ansah. Unsere Knie berührten sich, und ich spürte einen animalischen Strom des Verlangens, der uns miteinander verband. Peter sprach freundlich, in gleichmäßigem Ton. Doch mir kam es so vor, als suche er immer etwas, das nicht da war, etwas, das tiefes
Interesse und Besorgnis in ihm auslöste. Es war, als beobachte er uns aus der Entfernung, selbst wenn er lächelte, blieb immer noch etwas in ihm fern von uns. So war er schon als Junge gewesen, immer nur ein Zuschauer am Rande. Manchmal, bei einer Geschichte von früher, schüttelte er ein bisschen sonderbar den Kopf, halb zweifelnd, halb spöttisch, als wollte er sagen: »Es war nicht ganz so!« Doch er mischte sich nicht ein, und ich dachte, dass er sich vielleicht mit dem Gedanken tröstete, Giovanni sei ja bald nicht mehr da. Unsere sinnlichen Erinnerungen ließen uns schmerzlich den Riss spüren, den das Leben zwischen uns geschlagen hatte. Wir sprachen von der Vergangenheit, aber kaum von der Gegenwart, und Giovanni am wenigsten. Seine Ruhe hatte etwas Endgültiges an sich, als ob er viele Jahre mit dem Stoff des Vergessens überzog. Er war es auch, der am meisten trank.
    »Woher kennst du unsere Volkslieder?«, fragte er Viviane. »Meine Großmutter sang diese Lieder, als ich ein Kind war, seitdem habe ich sie nie mehr gehört.«
    Ihre glänzenden Lippen teilten sich zu einem Lächeln.
    »In unserer Pension hatten wir Zimmermädchen. Sie kamen und gingen, sie hielten es nie lange bei uns aus. Aber mich mochten sie. Wenn ich sie bat, mir etwas vorzusingen, dann sangen sie. Fast alle hatten eine schöne Stimme«,

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