Mondtaenzerin
Laternen schaukelten oder hüpften, von Kinderhänden getragen. Die Leute zogen in verschwommenem, gemächlichem Bewegungsfluss vorbei, geisterhafte Klänge schwebten über ihren Köpfen. Der Mond stand tief, golden wie ein Kürbis, sein Gleiten konnte man mit bloßen Augen verfolgen. In den Upper Barakka Gardens, oberhalb der St. Pauls Bastion, spielte ein kleines Orchester Tangos und altmodische Slows. Die Leute waren allmählich müde und bewegten sich weniger ausgelassen. Die Rhythmen wurden langsamer. Vivianes Musiker holten sich fremde Mädchen zum Tanz, drückten sie ungeniert an sich, und die Mädchen lachten schrill und etwas überdreht. Viviane tanzte mit Peter und ich mit Giovanni. Ich lehnte halb verschlafen den Kopf an seine Brust. Er war mir so vertraut in seiner verschwiegenen, geheimnisvollen Männlichkeit. Er roch nach Wein und jugendlicher Haut und irgendwie auch nach Honig. Er bewegte sich kaum, rieb sanft und aufreizend seine Hüften an meinen, hielt mich mit beiden Armen umschlungen.
»Ist dir kalt?«, flüsterte er.
»Ein wenig.«
»Möchtest du gehen?«
»Ja, bald.«
Ich schloss die Augen, drückte mein Gesicht in die Beuge seiner Schulter, spürte nichts als die beglückende Nähe seines lebendigen Körpers. Die Musik hörte sich sehnsuchtsvoll und traurig an, mein Denken war fast aufgelöst, aber nicht ganz. Ich sprach leise an Giovannis Hals.
»Sobald die Trennung unvermeidlich wird, dann, glaube ich, macht es wenig aus, ob du nun ein wenig später oder ein wenig früher gehst.«
Er lehnte seine Stirn, die etwas kalt und feucht war, an meine.
»Da du alles begriffen hast, reden wir nicht mehr darüber.«
Ich nickte wortlos. Eine Zeit lang würde ich nichts anderes zu tun haben, nichts als die verlorene Liebe zu beweinen. Und vielleicht, ganz allmählich, würde sein Bild in meinem Gedächtnis verblassen. Warum auch nicht? Es war ja bereits schon einmal geschehen.
Die Musik spielte eine Samba, aber keiner folgte wirklich dem Rhythmus. Dann und wann brach Gelächter aus, irgendwo klirrte Glas, ein Betrunkener torkelte grölend; die Satzfetzen entfernten sich, der Wind trug sie fort. Dann merkte ich plötzlich, wie Giovanni sich versteifte; es geschah im Bruchteil eines Atemzuges, als ob ein elektrischer Stromschlag durch seinen Körper zuckte. Er starrte in die Dämmerung hinaus, irgendwohin, ganz Spannung und Wachsamkeit. Ich hob im selben Augenblick den Kopf, drehte mein Gesicht leicht von ihm ab und blickte in dieselbe Richtung. Zunächst sah ich nichts, nur ein paar Männer, die Bier tranken, betrunken schwankten oder am Boden dösten. Dann entdeckte ich einen Mann, der etwas näher an die Tanzfläche getreten war; er stand da, eine dunkle Gestalt, die – wie mir schien – etwas Drohendes an sich hatte. Mir kam in den Sinn, dass ich diesen Mann vor langer, langer Zeit einmal gesehen hatte, als Giovanni halblaut zu mir sagte:
»Warte hier einen Augenblick.«
Er ging auf den Mann zu, und beide redeten miteinander. Der Mann war so groß wie Giovanni: Als er sich leicht zur Seite drehte und sein Gesicht beleuchtet wurde, fiel mir die Ähnlichkeit zwischen beiden auf. Einer der Brüder also. Ich warf mein Haar aus der Stirn, verschränkte fröstelnd die Arme. Jetzt, wo Giovanni mich nicht mehr an sich drückte, war mir kalt. Was wollte der Kerl? Wie hatte er uns gefunden? Ich sah Giovanni nach einer Weile ein bejahendes Zeichen
machen. Dann drehte er sich schroff um und ließ den Mann stehen, der sofort in der Menge verschwand.
»Wer ist das?«, hörte ich Viviane fragen. Sie stand neben Peter und hielt sich an ihm fest. Sie war erschöpft, ein Schimmer von Feuchtigkeit lag auf ihrem Gesicht, das matt glänzte, und die Blüte in ihrem Haar war verwelkt. Ich schüttelte wortlos den Kopf, als Giovanni schon wieder bei uns war. Sein Gesicht trug einen starren, finsteren Ausdruck.
»Das war Mario, mein älterer Bruder«, sagte er.
»Was wollte er von dir?«, fragte ich.
Giovannis Ausdruck war eisig.
»Er sagt, dass der Frachter gestern Abend angekommen ist und mein Schwager Diego mich sehen will. Und dass ich mich beeilen soll. Weil das Schiff schon um acht wieder klarmacht.«
Peter sah, trotz seiner Müdigkeit, plötzlich sehr misstrauisch aus.
»War der Kerl die ganze Zeit hinter dir her?«
Giovanni beruhigte ihn mit einer Geste.
»Er konnte mich nicht anders erreichen. Auf Malta will ich mein Handy nicht benutzen.«
Peter starrte ihn stirnrunzelnd an.
»Warum? Weil du
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