Mondtaenzerin
Schraube, die meine Finger in gewaltiger Umklammerung hielt. Peter murmelte: »Scheiße!«, versuchte Vivianes Finger zurückzubiegen, schaffte es aber nicht, und sie drückte umso fester zu, je mehr Peter sich bemühte.
»Es geht nicht!«, keuchte er, »ich bringe es nicht fertig!«
»Lass nur«, stammelte ich, »ich werde schon durchhalten.«
Ich hatte das Gefühl, dass kein Tropfen Blut mehr in meine Hand floss, dass meine Finger ganz taub wurden und abstarben. Der Schmerz war kaum zu ertragen und ich knirschte mit den Zähnen. Da ertönte, immer näher kommend, das Signal des Krankenwagens, der mit blinkendem Blaulicht die Straße hinauffuhr. Die Reifen knirschten auf dem Kies und die Menge wich zurück, bevor sie wieder dichter wurde. Ein junger Notarzt und zwei Helfer sprangen eilig heraus und brachten eine Trage. Sie hoben die wild um sich Schlagende hoch und schnallten sie auf der Trage fest. Viviane klammerte sich immer noch an meine Hand. Der Notarzt sah das auf einen Blick, machte eine Spritze bereit und stieß die Nadel in Vivianes Arm. Zu mir sagte er:
»Können Sie es aushalten? Der Krampf wird sich gleich lösen.«
Ich nickte; es tat höllisch weh, aber irgendwie gab es mir das seltsame Gefühl, dass Viviane und ich für alle Zeiten verbunden sein würden.
»Epilepsie«, sagte der Arzt. »Das hatten wir heute noch nicht.« Der junge Arzt, der sich als Dr. Santi vorstellte, brachte mit den Worten ein blasses, beruhigendes Lächeln zum Vorschein. »Wir bringen sie für eine Nacht ins Krankenhaus. Zur Beobachtung. Morgen wird sie wieder auf den Beinen sein. Seit wann hat sie solche Anfälle?«
Er warf mit der Bemerkung einen fragenden Blick auf unsere beunruhigten Gesichter.
»Schon seit jeher«, sagte Peter.
»Das kommt bei Kindern ab und zu vor. Die Symptome verschwinden nach der Pubertät. Hat sich das bei ihr nicht gebessert?«
Peter und ich sahen uns an, zogen ratlos die Schultern hoch. In letzter Zeit? Wir wussten es nicht. Doch die Musiker scharrten mit den Füßen und bewegten sich unruhig. Schließlich sagte einer von ihnen, Raphael, dass sie vor zwei Jahren einen Anfall gehabt hatte.
»Irgendein besonderer Grund?«, wollte der Arzt wissen. »Müdigkeit? Stress?«
Raphael räusperte sich. Die Sache war ihm offenbar peinlich.
»Das war am Flughafen von Rio. Wir haben deswegen das Flugzeug verpasst.«
»Oh?«, sagte Dr. Santi. »Wie unangenehm! Leidet sie auch unter Flugangst?«
»Nein …« Raphael dehnte die Silben, während die anderen betreten zur Seite schauten. »Wir … wir flogen nach Paris, wo wir ein Konzert geben sollten. Aber die Maschine, die wir verpasst hatten, die… die kam nie an.«
»Was war denn?«, murmelte der Arzt. Die Helfer, die sich um Viviane kümmerten und ihr behutsam das speichelnasse Taschentuch aus dem Mund entfernten, sahen betroffen hoch.
Raphael warf einen verwirrten Blick auf die beiden anderen Musiker, die verlegen nickten. Es war Adrian, der Schlagzeuger, der die Geschichte an seiner Stelle zu Ende erzählte.
»Es war die Air France 474, die in ein Gewitter kam und über dem Pazifik abstürzte. Alle zweihundertvierzig Passagiere starben. Erinnern Sie sich nicht?«
Der junge Arzt starrte ihn an, dann kehrten seine Augen zu Viviane zurück.
»Doch, ja … ich glaube, ich entsinne mich«, sagte er, bevor er langsam nickte.
»Da haben Sie aber Glück gehabt.«
Ein heftiges Frösteln überlief mich. Ich hatte sagen wollen: »Viviane spürt solche Dinge«, doch ich sagte nichts, denn mein einziger Gedanke war: Was spürt sie denn jetzt?
Inzwischen gaben ihre Finger, die mich wie in einem Schraubstock umklammert hielten, allmählich nach. Endlich gelang es mir, meine Hand zu befreien. Sie sah schrecklich aus, als ob ich auf einen Steinblock geprallt wäre, geschwollen, bleich und voller blauer Flecken.
»Zeigen Sie mal her«, sagte Dr. Santi.
Er bewegte behutsam meine Finger. Sie waren völlig gefühllos, und die Hand war so kalt, als hätte ich sie in Eiswasser getaucht. Nach und nach begann das Blut wieder zu zirkulieren, und mit dem Blut kamen auch die Schmerzen. Ich biss mir auf die Lippen, um nicht aufzuschreien. Dr. Santi rief einen der Helfer, der meine Hand mit Salbe bestrich.
»Die Salbe ist leicht schmerzlindernd«, sagte er, bevor er einen leichten Verband anlegte.
»Schonen Sie Ihre Hand ein paar Tage lang. Die Blutergüsse bilden sich bald zurück.«
Ich nickte, unfähig zu sprechen. Inzwischen wurde die
Trage in den
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