Mondtaenzerin
alten Steinbrüche befand, die seit Jahrzehnten nicht mehr in Gebrauch waren. Als ich langsam über die Steine wieder hinabstieg, stieß ich mit dem Fuß an das Paket, das sie mir dagelassen hatten. Ich hockte mich nieder und untersuchte das Bündel. Ich stellte fest, dass es sich um eine zusammengerollte Decke handelte, in die zwei Flaschen Mineralwasser und ein Brot eingewickelt waren. Diese Entdeckung erleichterte mich. Aha! Sie wollten mich also nicht ermorden. Aber sofort darauf folgten Mutlosigkeit und Angst: Decke und Proviant bedeuteten, dass ich hier eine Zeit lang gefangen bleiben sollte. Wie lange? Ich dachte, wenn ich sparsam bin, kann ich mit dem Wasser zwei oder drei Tage auskommen, und das Brot, nun, ich musste sehen, wie lange ich etwas zu essen hatte. Ich setzte mich auf die Decke und rieb meine schmerzenden Knie. Was nun? Ich nahm an, dass Peter bereits meine Eltern verständigt hatte. Und dass diese sofort die Polizei einschalten würden, war klar. Ich hatte Mutter von Giovanni erzählt, sie würde sofort einen Zusammenhang sehen. Aber wie konnte ich gefunden werden? Ein paarmal rief ich um Hilfe, was ebenso nutzlos wie töricht war. Dann wurde meine Kehle trocken, und ich gab es auf. Wer kam schon in diese abgelegene Gegend? Touristen,
vielleicht? Ja, wenn ich Glück hatte, aber bestimmt nicht heute, nach der Notte Bianca . Die hatten sich die Nacht um die Ohren geschlagen und ruhten sich aus. Ich dachte an Giovanni, und mich packte erneut die Angst. War er überhaupt noch am Leben? Seltsam war, mir kam kein einziges Mal der Verdacht, er hätte mich hintergehen können. Dieser Gedanke existierte nicht in meinem Kopf. Wenn mir jemand helfen konnte, dann Giovanni. Die Polizei? Ich machte mir kaum Hoffnung. Sie würden viele Tage, wenn nicht Wochen brauchen, um Maltas wilde, zerklüftete Landschaft zu durchsuchen. Gewiss, sie hatten Spürhunde. Aber auch Spürhunden waren Grenzen gesetzt, hatten mich meine Entführer ja in einem Wagen fortgebracht. In mir nahm die Müdigkeit allmählich ungeahnte Ausmaße an. Seit achtundvierzig Stunden mindestens hatte ich kein Auge zugetan. Ich suchte eine bequeme Stelle auf dem unebenen Boden, wickelte mich in die Decke ein, zog einen Zipfel über mein Gesicht. Kaum lag ich, da schlief ich schon ein. Irgendwann weckte mich ein Schrei: Ich fuhr hoch, von Entsetzen geschüttelt. Einige Herzschläge später begriff ich, dass ich es war, die geschrien hatte. Im selben Atemzug fiel mir auch der Traum ein, den ich gerade gehabt hatte, dieser Traum, der mich hartnäckig verfolgte: der Sturz in das kalte, grünfunkelnde Unbekannte. Als ob das Meer sich hob, mich mit lebendigen Strudelarmen packte. Und unten war das Auge, das mich anstarrte und mich aufsaugte, wie ein Magnet. Schweißgebadet richtete ich mich auf und schlug dabei schmerzhaft mit dem Kopf an die niedrigen Steine. Ich sah Sterne funkeln, rieb mir die Stirn. Ich hatte geschlafen… wie lange schon? Ich hatte keine Uhr, um die Zeit zu messen, aber mir schien, dass die Dunkelheit noch schwärzer war. Ich blickte zu den Ritzen empor und sah, dass das Licht jetzt rot war. Die Sonne sank. Ich hatte den ganzen Tag geschlafen. Das war gut, ich hatte immerhin Zeit gehabt, wieder zu Kräften zu kommen … aber was nutzte mir das? Ich ergriff
eine Flasche, drehte die Kapsel auf, nahm ein paar Schlucke von dem lauwarmen Wasser, kaute ein Stück Brot dazu. Das Brot schmeckte säuerlich, irgendwie wurde mein Durst dabei noch größer, aber ich zwang mich, nur noch einen kleinen Schluck zu trinken. Mit dem Wasser hieß es sparsam umgehen. Wie lange musste ich noch hier warten? Oh, Himmel, wahrscheinlich die ganze Nacht! Die Nacht kam, im Verließ wurde es stockdunkel, und ich hörte, wie draußen ein Käuzchen schrie, ein dumpfes, leichtes Heulen. In den folgenden Stunden wurde mir die Kenntnis der Dinge nur durch die Finger zuteil, die über den Boden tasteten, zum Brot hin, zur Wasserflasche. Ich versuchte, wieder zu schlafen. Schlaf war das Beste, mit dem Schlaf verging die Zeit schneller. Ich legte mich hin, und irgendwann schlief ich tatsächlich wieder ein.
Als ich wieder zu mir kam, stöhnend vor Hunger und mit einem pelzigen Gefühl auf der Zunge, war das Licht hinter den Ritzen grau. Es wurde also Tag. Ich trank einen Schluck Wasser, steckte ein Stück trockenes Brot in den Mund. Als das Licht heller wurde, tastete ich mich zu den Brettern empor. Ich hatte einen kleinen Stein bei mir, mit dem ich versuchte, eine
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