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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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durch große, akkurat gemeißelte Steine gekennzeichnet. Peter wies mit der Taschenlampe nach oben; die Decke, weit bis ins Dunkel hinauf, war ockerfarben bemalt – spiralförmige Muster, einfach und schnörkellos.
    »Wer hat das gemacht?«, flüsterte Giovanni.
    »Leute von früher«, flüsterte Vivi zurück.
    Das Gewölbe war kurvenreich und ziemlich hoch, nur gelegentlich
mussten wir gebückt gehen. Das Bauwerk war glanzlos und auffällig in einem, vor allem aber geheim. Dann und wann erhielt es durch Spalten etwas Licht, das handgroße helle Flecken auf die Wände warf. Außerdem gewöhnten sich unsere Augen allmählich an die Dunkelheit. Der dünne Strahl der Lampe beleuchtete nur den Boden, der felsig und glatt war und den Weg in die Tiefe mehr andeutete als zeigte. Außer unseren leisen Schritten und den Geräuschen unserer Atemzüge war alles still. Die kurvenreichen Gänge, von warmer Luft gefüllt, gaben den Blick auf verschiedene Kammern frei. Und in jeder Kammer sammelte sich, geheimnisvoll und unheimlich, das Dunkel.
    »Wo sind denn die Toten?«, fragte Giovanni.
    Der Klang seiner Stimme ließ uns alle zusammenfahren. Vivi gab keine Antwort, drückte nur stumm seinen Arm. Nach einer Weile blieb Peter, der mit der Lampe vorausging, stehen. Er kannte die Stelle, an der sich, unmittelbar vor seinen Füßen, ein kreisrundes Loch öffnete. Auch hier war eine Leiter angebracht. Einer nach dem anderen stiegen wir die Sprossen hinab. Unten war der Weg ein ganzes Stück enger; streckten wir die Arme seitwärts in Schulterhöhe aus, konnten wir den Fels berühren. Hier war es eine Zeit lang stockfinster, der kleine weiße Lichtkegel half auch nicht viel, aber wir wussten ja, dass der Weg bald wieder nach oben führte. Man merkte es daran, dass die Luft kühler wurde. Von irgendwoher drang Licht, und nach etwa zwanzig Metern mündete der Gang in einen großen, abgerundeten Raum. Ein Teil der Wand und der kuppelartigen Decke war mit schwarzen und weißen Vierecken versehen. Wie ein überdimensionales Schachbrett sah es aus, sehr deutlich zu erkennen, weil von oben, wie ein feiner blauer Nebel, Helle hereinfiel; sie musste von einem Loch an der Außenwand eines der Häuser kommen, sodass die Kammer, drei Stockwerke tiefer unter der Erde, beleuchtet wurde. Hier waren alle Wände wie eine Bienenwabe ausgehöhlt. Übereinanderliegende
Zellen, kaum groß genug, dass ein Mensch mit eingezogenem Kopf dort sitzen konnte, waren in den Fels geschlagen. Und alle Steinquader, alle Pfeiler waren mit ockerfarbenen Spiralen bemalt. Ich sagte zu Giovanni, der staunend dastand:
    »Malereien für die Toten.«
    Genaueres konnte ich nicht sagen. Wir verfügten über keine rationale oder mystische Erfahrung, spürten lediglich das Geheimnis unter dem Schleier, und eine Kraft, die zu beschwören einst gelang und die dann einer Stätte zu eigen blieb. Denn die Spirale, gleichermaßen Muschel, Schlange und Mutterschoß, stellt die ursprüngliche Materie dar, die Leben hervorbringt und Verstorbene aufnimmt. Im innersten Hort, in der Krypta der Geheimnisse, wird die Neugeburt eingeleitet. Die Spirale, die sich einschließt und fortbewegt, ist Geheimnis alles Geheimen, Kern aller Kerne und Sinnbild eines Lebens, das niemals endet. Woher sollten wir, die Kinder, das wissen? Gleichwohl setzte in unserem Alter die Gabe, sich etwas vorzustellen, voraus, dass der Sinn für das Heilige, In-sich-Gekehrte, noch in uns war. Wir suchten keine Erklärung, wie Erwachsene das tun würden, wir waren nur Unbefangenheit und Staunen.
    »Und die Toten?«, fragte Giovanni.
    »In den Löchern«, sagte Peter. »Früher hat man da ganz viele gefunden.«
    »Die Löcher sind zu klein«, meinte Giovanni zweifelnd. »Da kann keiner liegen.«
    »Doch, in hockender Stellung, das müssen wir dir noch erklären.«
    Giovanni sah nach wie vor skeptisch drein.
    »Als mein Großvater gestorben war, lag er ganz steif auf dem Rücken. Der hätte niemals reingepasst.«
    Vivi kicherte ein wenig schrill.
    »Kein Problem, Tote kann man zurechtbiegen.«
    Giovanni überhörte die Bemerkung.

    »Sind da noch welche?«
    »In den Löchern da oben? Kann sein.«
    »Kann ich die mal sehen?«
    »Von hier aus nicht«, sagte ich. »Wir müssen klettern.«
    Peter erwiderte sofort, er nicht. Seine angeborene und anerzogene Vorsicht machte ihn mitunter kleinmütig. »Ich finde nichts Interessantes dabei!«, sagte er, wie um sich zu rechtfertigen.
    »Dann bleib da, wo du bist«, versetzte ich

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