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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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abstoßend, feindlich, tückisch. Peter versuchte seine Angst mit einem Witz zu zügeln, wie er es oft tat, wenn er sich zu fürchten begann.
    »Ich sehe kein totes Kind, aber ich glaube, dass ich einen Fisch sehe …«
    Giovanni lehnte sich weiter vor.
    »Wo?«
    Peter warf einen zweiten Stein. Das Wasser sprang plätschernd auf; es war, als ob sich unten eine silberne Blüte entfaltete. »Da!«, rief Giovanni.
    Durch die glitzernden Wasserringe glitt, wie ein Gespenst, ein länglicher, weißer Schatten.
    »Das ist kein Fisch!«, bemerkte ich. »Das ist ein Molch.«
    »Warum ist er denn ganz weiß?«, wollte Giovanni wissen.
    »Weil er nie ans Tageslicht kommt«, sagte Peter.
    »Da ist ein anderer!«, rief ich.
    Ein zweiter Molch, noch größer als der erste, kam an die Oberfläche und zog einen unruhigen Kreis.
    »Igitt, die sind nicht schön«, meinte ich.
    »Blind wahrscheinlich«, sagte Peter. »Aber sie hören uns, das macht sie neugierig.«
    Giovanni beugte sich weiter vor.
    »Da ist …«, begann er.
    Weiter kam er nicht. Wir spürten ein Knirschen, eine Bewegung unter unseren Armen. Der Brunnenrand, an dem wir mit unserem ganzen Gewicht lehnten, musste irgendwann zerbröckelt sein. Wer konnte wissen, wie das Gestein unter dem Rand haftete und wie wenig es dazu brauchte, dass es abrutschte? Alles geschah fast gleichzeitig und in der Zeitspanne eines Atemzuges. Klack machte es, und ein Stein löste sich. Ganz plötzlich bewegte sich der Rand, rückte ein ganzes Stück vor. Steine, größere und kleine, lockerten sich, wurden hinabgefegt, rumpelnd und in wirrer Kaskade. Es polterte
und dröhnte, die ganze Zisterne schien zu erzittern. Giovanni konnte sich nicht rechtzeitig zurückziehen. Der Rand gab unter ihm nach. Plötzlich waren unter seinen Händen keine Steine mehr; die waren schon unten, im Wasser. Giovanni hatte keinen Halt mehr. Er verlor das Gleichgewicht, stürzte mit den neuen Steinbrocken, die jetzt fielen, kopfüber in die Tiefe. In einem Steinregen klatschte er auf die schwarze Fläche auf, ging unter, während sich das Tosen des aufgewühlten Wassers in einem Zucken weißer Blitze wie ein Donnerschlag anhörte, der das ganze Gewölbe erschütterte. Einige Herzschläge später tauchte Giovanni wieder auf. Er lag auf der Wasserfläche, das Gesicht in den schwappenden Wellen, Arme und Beine abgewinkelt, und rührte sich nicht mehr. Wir starrten hinab. Alles in uns zitterte. Dann blickten wir einander an, mit Panik in den Augen. Es war, als ob das Leben plötzlich stillgestanden hätte. In solchen Momenten ist es, als ob etwas in uns ist, das an unserer Stelle denkt. Ich sehe mich noch, wie ich beide Beine fast gleichzeitig über den Rand schwang und mich in den Brunnen fallen ließ. Im Nachhinein erfuhr ich, dass sich der Wasserspiegel in einer Tiefe von weniger als drei Metern befand, was die ganze Handlung etwas relativierte. Aber damals war mir, als wäre ich vom Himmel in einen Abgrund gefallen. Gnadenlos stieß mich das Wasser hinab. Eiskalte, brausende Finsternis schlug über mir zusammen. Ich drehte und krümmte mich in einem schwarzen, erstickenden Chaos. Plötzlich spürte ich etwas Hartes unter dem Fuß – Steine oder Knochen oder was weiß ich –, stieß mich ab, schoss aufwärts und riss den Mund weit auf, um zu atmen. Luft und Wasser rutschten in meine Lungen hinab wie schmerzende Blasen. Dabei schwamm ich mit ungeschickten Stößen, planschte blindlings im Kreis, bevor ich Giovannis Arm zu fassen bekam. Fast gleichzeitig entdeckte ich, dass ich stehen konnte. Das Wasser reichte mir ungefähr bis zu den Schultern und war kalt wie der eisige Tod. Giovanni lag immer
noch mit dem Gesicht im Wasser. Ich zog ihn heran, während sein kalter Körper auf und ab schwappte. Unter Aufbietung aller Kraft gelang es mir, ihn umzudrehen, sodass sein Gesicht wieder an die Oberfläche kam. Ich hustete und hustete, pfeifend strömte Luft dazwischen, aber ich konnte ihn stützen und nach oben blicken. Ich sah Vivi und Peter, die über den Rand gebeugt entsetzt hinabstarrten. Ich brüllte empor.
    »Eine Leiter! Schnell!«
    Vivi rief etwas, das ich nicht verstand. Doch sie waren schon weg. Ich klapperte mit den Zähnen, konnte nur noch husten und nach Luft schnappen. Die Kälte war schrecklich, nicht auszuhalten. Ich hielt mich auf schwankenden Beinen, Giovannis Gewicht machte, dass ich immer wieder den Halt verlor und mir das Wasser bis zum Kinn reichte. Ich sah, dass ihm ein dünner Blutfaden aus der

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