Mondtaenzerin
hat?«
Giovanni deutete ein bejahendes Zeichen an. Als er sprach – und es war das erste Mal –, verspürte ich eine Gänsehaut, so leise und rau klang seine Stimme.
»Sie lag zwischen den Armen der Toten.«
»Welche Tote, mein Sohn?«
»Die, von der wir das Skelett gefunden haben«, mischte sich Vivi vorlaut ein. »Den Schädel, die Wirbelsäule… Die meisten Knochen hatten sie schon herausgeschafft, aber nicht alle.«
»Ja, in den Zwanzigerjahren wurden Ausgrabungen vorgenommen.«
Fra Beato sah sie ernst an und nickte. Er fragte uns nicht aus, sondern ließ uns erzählen. Sogar Peter wurde zunehmend mutiger.
»Da waren noch ein Ring und ein kaputtes Armband. Und eine Halskette. Grüne Perlen.«
»Habt ihr die Sachen auch genommen?«
»Nein«, sagte ich. »Wir wollten die Tote nicht stören.«
Er antwortete langsam und nachdrücklich.
»Ja, wir sollen nur nehmen, was die Toten uns schenken. Habt ihr gewusst, dass die Höhle einst eine heilige Stätte war? Dass nur die Priesterinnen sie betreten durften? Und dass nur Priesterinnen in der Höhle ihre letzte Ruhestätte fanden und kein Mann jemals in der Kultstätte begraben wurde?«
Wir saßen stumm da. Woher sollten wir das wissen? Nur Vivi nickte mehrmals zustimmend mit dem Kopf und sagte in ihrer selbstsicheren Art: »Die Frau hieß Persea. Ich weiß es genau.«
Falls Fra Beato erstaunt war, verriet er es mit keiner Bewegung.
»Wie kommst du auf diesen Namen?«
Vivi erwiderte seinen Blick, wich ihm nicht aus. Sie hatte wieder ihre monotone Stimme, ihren fernen Blick.
»In der Höhle, da wurde es mir plötzlich schlecht. Ich meine, ich hatte plötzlich blaues Wasser vor den Augen, und
dann sah ich die Frau, wie sie aussah, als sie noch lebte. Sie war dick, aber wunderschön. Und da hat sie mir auch ihren Namen gesagt.«
Fra Beatos Blick ruhte weiterhin auf ihr, und ich fragte mich, welche Gedanken wohl hinter den ruhigen blauen Augen vorbeiziehen mochten.
»Kind«, sagte er schließlich sehr sanft, »erlebst du oft solche Dinge?«
»Ach, das kommt einfach so! Mitten in der Nacht und manchmal auch im Unterricht. Die Lehrer sagen, dass ich krank bin, aber ich bin nicht krank, überhaupt nicht. Mir wird es nur komisch. Und wenn sie mir eine Tablette geben, spucke ich die gleich wieder aus.« Vivi sprach schnell und sicher, wobei ihre profane Redeweise ein nicht auszumachendes spezifisches Merkmal trug, den Ausdruck guter Herkunft. Fra Beato ließ sie nicht aus den Augen.
»Hat die Frau noch etwas anderes gesagt?«
»Ach, sie hat gesagt, dass sie Giovanni ein Geschenk machen will. Diese Figur eben. Aber Giovanni wollte von Anfang an, dass sie in ein Museum kam. Er hatte Angst, dass sein Onkel sie zerschlagen würde.«
»Zerschlagen?«, wiederholte Fra Beato, als ob er seinen Ohren nicht traute.
Giovannis Gesicht lief rot an.
»Er sagt, was von den Teufelsanbetern kommt, muss vernichtet werden.« Vivi zog die Schultern hoch.
»Er ist eben Priester.«
Fra Beatos Gesichtsausdruck veränderte sich kaum merklich, und doch gewann sein Blick zunehmend eine ganz andere, eine strengere und traurige Färbung. Und vielleicht, weil er bewegt war, wurde seine Stimme noch leiser, als er sagte:
»Es gibt Gewissheiten, die auf Unwissenheit beruhen. Der Schauer der Ehrfurcht, den ein Kind freudig zulässt, wird für manche von uns ein Schauer der Angst. Wir spüren: Es gibt
ein anderes, das sich jeder Erklärung entzieht. Aber das ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist vielmehr, welche Gedanken in unserer Vorstellung ihre Wirkung tun. Der Teufel denkt nur an uns, wenn wir an ihn denken.«
Wir sagten kein Wort. Nicht alles begriffen wir; vor allem blieb uns der letzte Satz dunkel.
»Es tut mir leid, Kinder, ich wollte nicht ins Schwatzen kommen.« Fra Beato straffte sich ein wenig. »Ihr sollt aber wissen, dass das Knochenhaus seit mehreren Zeitepochen bestand. Ihr wart noch nicht geboren, als ein starkes Erdbeben die Gegend um Valletta erschütterte. Steine zerbrachen, der Erdboden wurde aufgerissen. Daran wird es wohl liegen, dass die Gebeine zum Vorschein kamen.«
Er sprach zu uns, als ob wir Erwachsene, Gleichwertige wären. Sein Ton war völlig sachlich, erklärend, aber nicht mahnend oder belehrend. Und Vivi, die das genau spürte, erklärte voller Überzeugungskraft: »Ich habe wirklich mit Persea gesprochen, das müssen Sie mir glauben.«
Er lächelte ihr zu.
»Ich glaube dir jedes Wort, junge Lady. Persea, die weibliche Form von
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