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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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Perseus, bezeichnet gleichsam die dunkle, zornige Mutter und die gütige, barmherzige und alles verzeihende. Ich denke, ihr Name macht auf eine Wahl aufmerksam: Der Mensch, diese unfertige Kreatur, bewegt sich zwischen Blindheit und Klarsicht. Denn die Schöpfung ist noch im Werden. Und es mag durchaus sein, dass wir sie zerstören, bevor Gott sie beenden kann.«
    Er schloss kurz die Augen und rieb sich die Stirn. Seine Stimme klang plötzlich müde.
    »Kinder«, fragte er dann, »wie habt ihr denn diesen Ort entdeckt?«
    Wir tauschten Blicke. Unsere Geheimnisse hatten wir den Eltern größtenteils verschwiegen. Aber Fra Beato konnte sie aus uns herauslocken, wie man einen Vogel aus dem Wald
lockt. Fast war’s uns, als ob wir darauf gewartet hätten. Wir erzählten ohne richtige Folge, sprachen von allem fast gleichzeitig: von unseren Streifzügen in die Grabkammern, von unserer Vertrautheit mit den Toten und von dem Unfall schließlich, der Giovanni fast das Leben gekostet hätte. Als wir erschöpft schwiegen und nachdem Fra Beato unsere Gläser frisch gefüllt hatte, sagte er, als ob er laut dachte: »Wir beten zu den Engeln und glauben, sie seien fern. Es ist ganz natürlich, dass wir uns manchmal von ihnen verlassen fühlen. Aber die Engel sind immer da und halten ihre Schwingen über uns.«
    Er hob mit behutsamen Händen die Tonfigur aus der Schachtel und lächelte Giovanni an. Es war ein Lächeln, das aus den Augen kam wie klares blaues Licht.
    »Die Priesterin hat dir ein Geschenk gemacht. Du aber hast entschieden, das Geschenk sei nicht für dich bestimmt, sondern für Malta. Und Malta wird dir dafür dankbar sein.«
    Giovanni senkte verlegen den Blick. Fra Beato sprach weiter.
    »Malta ist alt, sehr alt. Von den Menschen, die hier vor langer Zeit lebten, wissen wir nur, dass ein Teil von ihnen aus Libyen kam. Sie wohnten in Behausungen aus roh behauenen Steinen, pflanzten Oliven, Gerste und Reben an. In ihrem Blut lebte der alte Glaube an die Herrin des Mondes, die das Korn zum Reifen brachte. In Libyen trug sie den Namen Astarte. Ihr zu Ehren wurden auf Malta Tempel erbaut, die eine runde Form hatten, dem Mutterleib nachempfunden. Gewaltige Steine wurden auf Baumstämmen transportiert, um Hügel herumgerollt und über Ströme gefahren. Es ist uns noch heute ein Rätsel, wie die Menschen dieser Zeit mit Winden und Hebeln Blöcke aufrichteten, die wir ohne Maschinen nicht bewegen könnten. Gewiss gab es ein Geheimnis, wie diese Steine aufzurichten waren, denn solche Bauten finden wir ja auf der ganzen Welt. In den Tempeln betete man zur Großen Mutter und brachte ihr Opfer dar.«

    Er trank einen Schluck, und ich fragte gespannt:
    »Auch Menschenopfer?«
    Peter bewegte sich unruhig, und Vivi stieß mich mit dem Ellbogen an. Fra Beato antwortete mit gleichmäßiger Stimme.
    »Das war nicht ungewöhnlich. Erzählt nicht das Alte Testament, wie Abraham das Messer über seinem Lieblingssohn schwang und Jahwe ihm Einhalt gebot? In wenigen Worten wird hier eine Bewusstwerdung geschildert, die in Wirklichkeit eine ganzen Zeitepoche beanspruchte – viele tausend Jahre –, bis die Menschen eine neue Stufe ihrer Entwicklung erreichten. In einigen Teilen der Welt ist dieser Vorgang noch heute nicht ganz abgeschlossen.«
    Vivi betrachtete ihn einen Augenblick, und ihre kindlichen Züge waren leicht verkniffen, bevor sie widerstrebend sagte: »Eigentlich wollte ich nicht davon reden, aber wenn kein Regen fiel, warfen sie kleine Kinder in den Brunnen. Zuerst wurde ihnen eine schöne Geschichte erzählt, damit sie keine Angst hatten. Und wenn es so weit war, merkten sie nichts, man hatte ihnen ja vorher… äh … Pillen gegeben, na ja, Sie wissen schon. Sonst wäre es wirklich zu brutal gewesen.«
    Fra Beato antwortete nicht gleich. Doch sein Ausdruck erlaubte es uns, genau die Länge des Weges zu ermessen, die wir in Richtung auf ein gegenseitiges Vertrauen zurückgelegt hatten. Schließlich brach er mit einem Seufzen das lastende Schweigen.
    »Ja, das mochte vorkommen. Und es waren die Priesterinnen, die bestimmten, wann der Augenblick des Säens oder der Ernte kam, und es den Bauern mitteilten. Und brauchten die Bauern einen Rat, verbrachten die Priesterinnen eine Nacht schlafend im Tempel, und die Himmelsmutter sandte ihnen einen Traum, den sie an ihre Bittsteller weitergaben. Diese Tonfigur mag gleichsam die Priesterin und die Himmelsmutter darstellen, die in ihrem Schlaf die Menschheit erträumt. Und als der

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