Mondtaenzerin
gegeben. Doch später wurden seine sterblichen Überreste in die Kathedrale überführt, wo sie heute noch ruhen. Ob es ihn glücklich macht oder nicht, kann ich nicht sagen. Oft, wenn ich hier zu nächtlicher Stunde bete, ist mir, als würde ich seine Stimme vernehmen. Er spricht, die Worte sind irgendwo in mir, aber nach dem Gebet ist ihr Klang schon verblasst. Ich kann mich nicht an sie entsinnen. Vielleicht reicht mein Gedächtnis nicht aus, oder mein Ohr ist verhärtet …«
Wir tauschten Blicke, die er auffing, denn er seufzte kurz auf.
»Lasst uns gehen, Kinder, hier ist ein Ort für alte Männer.«
»Aber Sie sind ja noch gar nicht so alt«, meinte Peter treuherzig.
»Danke, mein Sohn, das höre ich gerne, obschon mir meine Knochen etwas anderes sagen.« Fra Beato lächelte leicht und wies uns mit einer Handbewegung den Weg.
»Das, was ich euch zeigen will, befindet sich dort drüben.«
Wir folgten ihm hinaus auf die Terrasse. Geschmeidig, ein bisschen nach vorn geneigt, ging er auf ein kleines Gebäude
zu, das an der wuchtigen Mauer lehnte. Fra Beato stieß eine Holztür auf, wir betraten einen kleinen, offenbar unbewohnten Raum. Durch zwei Fenster mit schmiedeeisernen Gitterstäben fiel das Licht auf pastellfarbene Teppiche, auf große und kleinere Statuen aus Holz, manchmal nur Köpfe, die wie mit Öl eingerieben glänzten. Auf Regalen standen Puppen aus Porzellan, mit weißen Gesichtern, kirschroten Lippen, in verblichene Seidengewänder gehüllt. Blau schimmernde Vasen, mit Blüten und Zweigen, mit Kranichen und geflügelten Drachen bemalt, standen auf dem Boden und waren noch größer als wir. An den Wänden hingen, Kirchenbannern ähnlich, lange Seidenbilder in grünen und gelben Schattierungen, die geheimnisvolle Schriftzeichen und fremdartige Menschen zeigten, alle nur in schwarzen Strichen gemalt.
Fra Beato sah amüsiert zu, wie wir staunten.
»Die Kunstwerke sind mehrere Jahrhunderte alt. Einige unserer Ordensbrüder reisten auf der Seidenstraße nach China, das sie Cipangu nannten, und kamen mit diesen Sachen in die Heimat zurück.«
Er näherte sich einer Tür im Hintergrund, die er mit lautem Knarren entriegelte. Die Tür sprang auf, gab einer Lichtwelle Einlass, die den ganzen Raum durchflutete. Wir schlossen geblendet die Augen, wichen zurück, doch Fra Beato gab uns ein Zeichen, näher zu kommen. Wir machten zögernd ein paar Schritte, als ob die Öffnung, auf die wir uns zubewegten, steil in glitzernde Tiefen fiel. Befangen und mit blinzelnden Augen traten wir auf einen schmalen, hölzernen Balkon mit Sitzen an den Seiten. Und da wagten wir kaum zu glauben, was wir sahen, und schlossen die Augen, geblendet und voller Angst, das Bild könnte sich von einem Herzschlag zum anderen wieder in nichts auflösen. Vorsichtig öffneten wir sie wieder… nein, alles, was wir sahen, war Wirklichkeit! Unter uns leuchtete der Great Harbour von Valletta, eine fast wellenlose, tiefblaue Fläche, mit seinen Frachtern, Yachten und Segelbooten. Über den
Hafenmauern reihten sich die aufgerichteten Stahlglieder der Kräne. Es gab keinen Hitzedunst mehr. Der Himmel war ganz blank und von lockender Leichtigkeit. Die gelben Häusermassen, von der Sonne schräg beleuchtet, schienen ferne, zerfließende Grenzen zu berühren. Wir waren wie verzaubert, weder erschrocken noch erstaunt. Es war ein Bild, das uns den Atem raubte. Und als ob Fra Beato nicht wollte, dass der Ton seiner Stimme den Zauber brach, zeigte er nur wortlos mit der Hand. Und da sahen wir, wie ein Ozeandampfer sich gerade in diesem Augenblick in Bewegung setzte. Das Schiff trug den Namen »Vittoriosa«, war mindestens fünf Stockwerke hoch, mit gelben Schornsteinen und unzähligen Bullaugen. Langsam kam es auf uns zu, einem schwebenden Gebäude ähnlich, denn das Wasser lag unentwegt glatt und ruhig da. Keine rauschenden Wellen, keine gischtigen Wogen. Wuchtig und still näherte sich das Schiff, sein Bug teilte das Wasser wie Seide. Unten, aus einem Bullauge, plätscherte ein Wasserstrahl hinab, und bald konnte man das Deck voller Leute sehen, die dicht gedrängt wie die Ameisen die Ausfahrt aus dem Hafen beobachteten. Und nun glitt, himmelhoch und ganz nahe, der Dampfer an Fort St. Angelo vorbei, sodass wir in dem Steuerhaus auf der Kommandobrücke ganz deutlich den Kapitän und seine Offiziere erblickten, die das Schiff aus dem Hafenbecken lenkten.
»Also, Kinder«, rief uns Fra Beato zu, »wollt ihr nicht den Kapitän grüßen?«
Es
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