Mondtaenzerin
Gesicht machten, ehrlich, bescheiden und ehrfürchtig. Und dann war der Gottesdienst vorbei, die Leute strömten aus der Kirche, und alles ging los wie zuvor, der gleiche formelle Tratsch, die gleiche künstliche Sonntagsfröhlichkeit. Seltsam, wie die Menschen sich umstellen konnten! Ich misstraute der Kluft, die sich auftat zwischen der Messe und dem Alltagsleben. Und je kritischer ich wurde, desto mehr Zweifel kamen mir. Die Religion enthielt so viele Schatten, Fantasiegebilde, ungelöste Rätsel, gebrochene Zauber. Giovanni und ich sprachen lange darüber.
»Ich habe nur einen Menschen getroffen«, sagte ich, »der ständig ein Gesicht hat, als ob er Kirchenmusik hört.«
Noch während ich sprach, schloss Giovanni die Augen. Ein Lächeln, das einzig und allein ihm selbst angehörte, ein in sich geschlossenes, nur ganz zart angedeutetes Lächeln, verklärte seine Züge wie von innen her. Dann hob er die Augenlider und bezog mich in sein Lächeln ein.
»Ich weiß, wen du meinst. Fra Beato, nicht wahr?«
Wir nickten uns freudig zu. Giovanni hatte es also auch bemerkt, dieses Lächeln, traurig und glücklich in einem. Und gleichzeitig war es das Lächeln eines Menschen, der sich nach einer großen Anstrengung erholt. Es hatte etwas Beflügeltes, Freies an sich, dieses Lächeln. Vielleicht, dachte ich, weil er alle Rätsel gelöst hatte?
»Ich glaube, ich will kein Priester werden«, Giovanni gestand es zögernd. »Eigentlich will ich zur Schule gehen und lernen.«
»Hast du mit deinem Onkel darüber gesprochen?«
Er hatte sich noch nicht getraut. Er hatte Angst.
»Ich würde ihn schrecklich enttäuschen. Er hat so große Pläne für mich. Wenn ich Seminarist bin, hat er gesagt, würde er dafür sorgen, dass ich nach Rom komme. Ich würde nie mehr hungrig sein und mein Leben lang ein Dach über dem Kopf haben. Am Anfang hielt ich es für herrlich, nach Rom zu gehen«, fügte er mit finsterem Gesicht hinzu.
»Und jetzt nicht mehr?«
Er schüttelte den Kopf, plötzlich von jeder Verlegenheit befreit.
»Nein, ich will dich heiraten.«
Ich erwiderte ungestüm sein zögerndes Lächeln.
»Ich will dich auch heiraten.«
»Ja, aber wir können noch nicht.«
»Inwiefern?«
»Wir sind beide viel zu jung. Und wir haben kein Geld.
Aber sag, du willst! Irgendwann. Wann wir können. Willst du?«
»Ja, ja, ja!«, rief ich und fühlte mich auf törichte Weise unglaublich glücklich.
»Aber zuerst muss ich einen guten Beruf haben.« Giovanni biss sich hart auf die Unterlippe, wie um sich selbst wegen einer Unterlassung zu bestrafen, die mir entgangen war. »Und wenn deine Eltern nein sagen, dann können wir noch lange, lange nicht heiraten. Und dann müssen wir uns damit abfinden.«
Mein Glücksgefühl verschwand. Natürlich, da gab es diesen Klassenunterschied. Ob wir uns liebten oder nicht, zählte für andere Leute nicht. Giovanni und ich waren eine einzige Seele, die sich in zwei Teile geteilt hatte, um in zwei Körper einzutreten. Es bestand ein Band zwischen uns, durch das Wiedererkennen der Seelen unlösbar verknotet. Aber wen interessierte das schon? Die ganze Welt würde mit wohlmeinenden Ratschlägen oder Ermahnungen, wenn nicht gar mit List und Tücke, versuchen, unsere Liebe zu zerstören. Ein Mädchen aus gutem Hause durfte sich nicht mit einem Jungen einlassen, der aus einer Familie von Verbrechern kam. Und hatte er den Onkel nicht mehr im Rücken, würde ihn kein Lehrer in der Klasse haben wollen.
Im Märchen heiraten Prinz und Prinzessin. »Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.« Mit diesen Worten enden alle Geschichten. Aber wir hatten den Film Titanic gesehen und wussten, dass auch die schönsten Märchen nicht immer gut enden. Ahnungslos waren wir also nicht. Es war wie ein Spiel, das wir spielten, gebrauchsfertig und vertraut: »Wünsch dir was, und es geht in Erfüllung!« Aber unser Wunsch war abstrakt und nicht opportun, und unser Universum war imaginär.
»Ich werde mit meinen Eltern reden«, sagte ich. »Es wird schon alles gut werden.«
Giovanni antwortete daraufhin sehr vernünftig: »Ja, aber wir können erst mit achtzehn heiraten. Das ist Gesetz.«
»In vier Jahren?«, rief ich. »Das ist nicht schlimm. Ich mache einfach die Schule zu Ende. Und wenn du nicht mehr in den Unterricht kannst, wirst du doch irgendeine Arbeit finden.«
»Als Maurer oder so, ja, bestimmt.«
»Na, siehst du? Und ich setze mich schon durch, keine Angst! Meine Mutter wird uns nicht im
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