Moni träumt vom großen Glück
einen Brief mit Opas Handschrift. Ich machte auf, und siehe da: Wieder lag ein Hundertmarkschein darin.
„Meine liebe Moni“, schrieb Opa, „erstens bist Du heute achtzehn Jahre. Das ist ein ganz besonderer Tag. Zweitens hat Deine Mutter mir erzählt, daß mein Geschenk voriges Jahr eine Anregung für Dich wurde, ein Sparbuch anzulegen. Das finde ich sehr lobenswert. Deswegen möchte ich auch dieses Jahr mit derselben Summe beitragen und hoffe, daß Dein Sparkonto inzwischen gewachsen ist und daß Du nach wie vor Freude am Sparen hast. Der Tag wird bestimmt kommen, wo Du Dein Spargeld gebrauchen kannst.“
Ich lächelte und guckte Marc an. Er stand neben mir und schüttelte den Kopf über die gotischen Buchstaben in Opas Brief. Ich mußte ihn vorlesen.
„Ja“, sagte Marc. „Dein Opa wird recht behalten. Der Tag kommt ganz bestimmt in nicht allzu langer Zeit.“
An einem Septembertag mußte ich mich dann von Marc verabschieden. Er fuhr zurück nach Köln, zurück zu einem Jahr voll intensivster Arbeit. Ich war seit sechs Wochen in der Oberprima, und beinahe alles war wie vor dem Sommerurlaub – aber nur beinahe alles. Zweierlei war anders: Erstens war ich der glücklichste Mensch auf der Welt, zweitens war Melitta auch wahrscheinlich sehr glücklich. Sie hatte sich in diesem Sommer verlobt und die Schule aufgegeben. Jetzt lernte sie kochen und andere nützliche Sachen in einem Internat in der Schweiz. So mußte ich wieder auf meinem guten, alten Rad oder zu Fuß den Schulweg bewältigen.
Als Marc weg war, fing ich an, mich wieder nach kleinen Jobs umzusehen. Ich bekam diesmal ganz was Neues: Eine Kollegin von Mutti wurde krank und engagierte mich als Hundemädchen. Das heißt, ich ging jeden Morgen – noch vor der Schule – und holte ihren kleinen Hund zwecks „Gassigehen“ ab, brachte ihn zurück, holte ihn mittags wieder und dann abends noch einmal. Die Besitzerin war froh und glücklich darüber, und mir machte es eigentlich Spaß, mit dem kleinen Vieh spazieren zu gehen. Ich überlegte mir schon, ob Marc und ich nicht auch mal so ein kleines süßes Tierchen anschaffen sollten. Allerdings mußte ich jeden Morgen schrecklich früh auf; denn der kleine Hund war es gewohnt, morgens mindestens eine halbe Stunde herumtoben zu dürfen. Auf dem Heimweg von der Schule machte ich außerdem Besorgungen für die Hundebesitzerin. So half ich ihr über die Krankheitszeit, und sie bezahlte anständig dafür.
Der Hund war ein kleines schwarzes Knäuelchen – eine Mischung von Zwergschnauzer und schottischem Terrier. Er hieß übrigens Kisu. Angeblich sollte das finnisch sein und„Liebling“ bedeuten. Kisu hatte ich ein Erlebnis zu verdanken, über das ich mich letzten Endes sehr gefreut habe, obwohl alles ganz schrecklich anfing.
Eines Morgens ging ich mit Kisu auf dem friedlichen kleinen Pfad durch die Schrebergärten. Das war das kleine Stück Weg, auf dem ich damals das denkwürdige Erlebnis mit Walter und seinem Moped und meinem ruinierten Regenmantel gehabt hatte. Wie lange war das her… Ich ging da und dachte an Walter, und ich dachte an Jutta, und – natürlich – dachte ich auch an Marc, aber das war ja nichts Außergewöhnliches. Kisu trottelte neben mir, brav und artig. Hier, wo gar kein Autoverkehr war, konnte ich es wagen, ihn frei laufen zu lassen.
Dann hörte ich plötzlich ein lautes Bellen, und von einem Grundstück kam ein riesengroßer Grönlandhund herausgestürzt, direkt auf Kisu zu. Es läßt sich nicht leugnen, daß Kisu eine aggressive Natur war. Er rannte also mit Todesverachtung auf den Großen los. Der wurde wütend über den kleinen Kläffer, und im nächsten Augenblick hörte ich ein jämmerliches Geheul von Kisu. Ich rannte hin. Es gelang mir, den kleinen Hund auf den Arm zu kriegen, aber nun war der große wirklich wütend geworden. Er sprang unaufhörlich an mir hoch. Er war überwältigend groß, und Kisu kläffte unermüdlich weiter und zappelte auf meinem Arm. Ich versuchte, dem großen Hund ins Halsband zu fassen, ihn loszuwerden – unmöglich. Jetzt war ich wirklich ängstlich, der Grönländer sah nämlich furchterregend aus, und ich hatte ja überhaupt gar keine Erfahrung mit Hunden. Ich rief um Hilfe. Niemand hörte mich. Wo in aller Welt war der Besitzer des Untieres? Als ich dicht vor der großen Verzweiflung war, hörte ich ein liebliches Geräusch: Motorengeknatter hinter mir! Ich hörte eine Bremse, und dann sah ich einen langen Arm, der hervorschoß und den
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