Moni träumt vom großen Glück
Kolleginnen von Mutti abends zu uns. Sonst vergingen die Tage ohne irgendwelche Ereignisse. Aber an einem Nachmittag kam Jutta mit weit aufgerissenen Augen und halb außer Atem. Sie kam, obwohl wir gerade an diesem Tag scheußlich viele Aufgaben aufhatten und sie über ihren Büchern hätte sitzen müssen.
„Moni!“ sagte sie, beinahe noch bevor sie den Mantel aufgehängt hatte, „Moni, kannst du dir vorstellen: Walter will auswandern! Nach Australien!“
„Warum in aller Welt?“ fragte ich.
„Ja, warum? Ein Kollege von ihm ist voriges Jahr ausgewandert und hat jetzt geschrieben. Und Walter meint, er habe in diesem kleinen Nest und in dem Selbstbedienungsladen keine Zukunft. Er hat uns seit vierundzwanzig Stunden von großen Steppen, von Wäldern und Känguruhs und Koalabärchen vorgeschwärmt. Er ist so froh und aufgekratzt, wie ich ihn nie gesehen habe!“
„Was sagt deine Mutter dazu?“
„Sie ist nicht so außer sich, wie man fürchten müßte. Sie sieht ein, daß Walter so etwas braucht. Er muß was erleben, muß für seine Kräfte Verwendung finden, muß sich Aufgaben suchen, für die er sich ganz und gar einsetzen kann. Natürlich ist Australien scheußlich weit weg, aber immerhin… Wenn etwas los sein sollte, kann man in unglaublich kurzer Zeit hinkommen oder Walter könnte herkommen, es ist nur eine Frage des Geldes.“
„Und das Geld beabsichtigt Walter zu verdienen?“
„Es scheint so! Er sitzt augenblicklich zu Hause, und sucht all seine Papiere zusammen, dann geht es ans Impfen und was alles erledigt werden muß. Er hofft schon in etwa acht Wochen losfahren zu können!“
„Walter ist übrigens in der letzten Zeit sehr viel netter geworden“, sagte ich.
Juttas Augen leuchteten.
„Ja, nicht wahr?“ Sie schwieg ein bißchen. Sie sah aus, als überlege sie, ob sie weitersprechen sollte.
„Weißt du, Moni, was ich glaube? Es gibt einen Menschen, der ihn jetzt hätte zurückhalten können, und dieser Mensch bist du!“
„Jutta, du spinnst!“
„Nein, ich spinne nicht. Mein dämlicher Bruder hat alles getan, um seine eigenen Chancen bei dem Mädchen zu zerstören, das etwas für ihn bedeutete. Ich glaube, Moni, es war eine Art Selbstschutz, ein Selbsterhaltungstrieb bei ihm. Er fühlte sich unterlegen, er konnte sich dir gegenüber nicht behaupten, und so griff er zu dem Entgegengesetzten – er wurde unausstehlich, ich weiß es.“
„Ich kann nur nicht begreifen, was er in mir sieht“, sagte ich. „Wenn er sich nun in… ja zum Beispiel in Melitta verliebt hätte, dann hätte ich seine Reaktionen eher verstehen können…“
„Melitta? Jetzt spinnst du wohl! Millionärstochter mit Pelz und Villa und eigenem Wagen! Nein, so hoch hinaus hat er bestimmt nie gedacht. Du weißt – ach, wie heißt es nun gleich? – ,Die Sterne, die begehrt man nicht’. Aber du warst nicht ganz so weit weg wie Melitta, du warst irgendwie näher; aber eben nicht nah genug. Und um nicht ganz unglücklich zu werden, hat er sich dann mit… mit der Unausstehlichkeit sozusagen bepanzert.“
„Aber Jutta, er war auch zu anderen Menschen unausstehlich!“
„Ja, das stimmt. Das war auch eine Art Bepanzerung, um nicht in Minderwertigkeitsgefühle zu versinken. Wir haben es nämlich oft sehr schwer gehabt bei uns zu Hause, Moni. Schwerer, als du ahnst.“
„Das habt ihr aber gut verbergen können, Jutta.“ Jutta lächelte, ein ganz kleines Lächeln.
„Man hat ja seinen Stolz“, sagte sie leise…
Zwei Monate später erlebte ich etwas Sonderbares.
Ich war bei Jutta und Walter eingeladen gewesen. Wir feierten den Abschied mit vielen guten Wünschen und vielen Worten. Ich freute mich wirklich, wie Walter sich verändert hatte. Er war erwachsen, er war freundlich, er war irgendwie gelöst von allem, was früher gewesen war.
Mir fiel ein, daß vielleicht noch anderes mitgespielt hatte als das, was Mutti vermutet und Jutta bestätigt hatte. Jeder Junge hat ja seine Flegeljahre. Vielleicht hatte Walter die seinen etwas spät durchgemacht.
Er behielt meine Hand lange in der seinen, als wir uns verabschiedeten. Er sah mir ins Gesicht, seine Augen waren… ja, sie waren direkt sanft.
„Dann alles Gute, Moni. Ich werde an dich denken… manchmal“, fügte er schnell hinzu. Er drehte sich um. Nein, da war keiner in unserer unmittelbaren Nähe. „Schickst du mir mal eine Karte… außer der Verlobungskarte?“
„Ja, Walter. Tu ich. Und ich wünsche dir alles denkbar Gute. Und dann… dann möchte
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