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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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auf ihrem Mist gewachsen? Sie bleiben liegen. Auf ewig. Basta. Sie kriegen einfach Gesellschaft. Das ist alles.
    Die Beschreibung der Beerdigung allerdings machte ihm Eindruck. Er setzte sich aufrecht hin im Bett und bat mich, seine Beine ordentlich hinzustellen; eins war umgefallen.
    – Und?
    – Was?
    – Hast du sie besucht?
    – Wen?
    – Die Tatta natürlich. Hab ich dir doch aufgetra-gen.
    – Ich kann das nicht.
    – Mach es so, wie ich’s dir erklärt habe. Mit dem Kopf. Bring mir das Bild.
    Tat streichelte den Rahmen.
    – War sie nicht schön?
    Ich nickte. Ihm liefen die Tränen übers Gesicht. Tat war in einer merkwürdigen Stimmung.
    – Die Nachbarin ist auch schön. Sie schaut nach mir. Ab und an backt sie mir einen Kuchen. Es will alles nicht mehr richtig.
    Er deutete auf seine Beine und hielt mir den Unterteller hin, die Tasse darauf schlotterte, und als er sich etwas Kaffee hineinzugießen versuchte, kleckerte er, ich musste ihm ein Tuch bringen und musste mich enorm zusammenreißen, um ihm nicht zu sagen, dass es andern noch schlechter geht als ihm, dass andern die lebensnotwendigen Großmütter gestorben sind und sie nun in Schweizer Schränken festsaßen und es kompliziert war, zu ihnen zu gelangen, weil sie nicht raus konnten, weil es sie nicht gab, ganz im Gegensatz zu Tat, der im Bett saß wie ein König, dem ich das Kissen aufschüttelte, wann immer er es wollte, dem meine Mutter Milch mit Honig brachte und Äpfel aus dem Keller; einem Keller, der voll war mit Äpfeln, die mein Vater für ihn gepflückt hatte. Tat, der sich frei bewegen könnte, wenn er nur wollte. Wenn er sich nur die Beine anschnallen würde, könnte er in den Garten gehen, den Garten noch ein bisschen genießen, bevor hier der Schnee fiel, den er schon seit einer Woche in den Knochen hatte und seit heute früh in der Nase.
    Tat drehte sich zur Wand.
    – Vergiss nicht, Sepp das Futter hinzustellen. Und sag deinem Vater, dass er die Uhren aufziehen muss. Alle.
    Das Ohr fest aufs Kissen gedrückt, liege ich im Bett. Ich darf kein Licht mehr machen. Bei schlechtem Licht darf ich nicht lesen. Es tut meinen Augen nicht gut, sie sind von Natur aus angeschlagen, ich darf sie nicht überfordern.
    Zu viel Lesen ist ungesund. Es hat Folgen. Meine Mutter weiß genügend Beispiele.
    Onkel Theo, ein Sonderling.
    Tante Tilde, eine alte Jungfer.
    Die Nachbarin im Erdgeschoss, tot.
    Lesende, sagt sie, bleiben unverheiratet, haben Hände wie Kinder und reden im Alter mit sich selbst. Haben sie zu Hause einen Unfall, fällt es niemandem auf. Bücher rufen keine Krankenwagen, sie schreien nicht in den Hörer, machen keine halben Sätze, weinen oder holen Hilfe. Sie machen eine Hausräumung ohne Murren mit. Kistenweise wurden sie aus dem Erdgeschoss nach Wien abtransportiert.
    Er kommt bestimmt, der Schlaf, el sueño. Ich warte. Auf eine Gelegenheit.
    – Der Krebs hat Milenas Großmutter komplett aufgefressen, sagte ich zu Schneewittchen. Nicht zu glauben: ein Krebs.
    Schneewittchen knabberte an der Karotte, die ich mitgebracht hatte.
    – Milena sagt, dass sie den Himmel auswendig lernt, die Sterne und alles, damit sie sich ohne Probleme zurechtfindet, wenn sie dann mal hinmuss. Das kann sehr schnell gehen. So schnell wie im Fall ihrer Mutter, an die sie sich nicht erinnern kann, oder wie im Fall der Großmutter, die ihr sehr fehlt. Sie sagt, Toni sagt, dass sie krank geworden ist, nachdem er in die Schweiz gefahren war, um hier zu arbeiten, und dass es vorauszusehen war, dass sie sterben wird. Alle hofften bloß, dass die Großmutter noch etwas durchhält, bis Toni in der Schweiz alles geregelt hat. Aber die Schweiz kann das nicht so schnell regeln, weil Mili eine internationale Angelegenheit ist. Die Schweiz findet, dass seine Tochter zu ihrem Onkel nach Deutschland fahren oder in Italien bei einer der Schwestern bleiben soll. Aber bei einer von Tonis Schwestern kann Mili unmöglich bleiben, weil sie keine der vier ausstehen kann, und Deutschland hat schon genug an Tonis Bruder und meint, die Schweiz soll sich um ihn kümmern, da Toni ja hier arbeitet und Mili seine Tochter ist und nicht die des Bruders. Und jetzt ist sie da. Aber das ist nicht das Ende der Welt, sagt Toni, er versucht sie zu trösten, und er macht auch alles, dass der Schrank bequem ist und schön. Sogar Licht gibt’s dadrin und an der Wand Tapete. Und einen Spiegel! Wir haben uns darin gemeinsam angesehen, und ich habe ihr Tats Rezept verraten: Blinzeln, einmal

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