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Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)

Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)

Titel: Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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meinem Körper. Ich sah aus wie 16, hatte jede Menge Sexerfahrung und eine Abtreibung hinter mir, doch innerlich war ich irgendwie noch immer das kleine Mädchen von vier Jahren, dessen Seele einen solchen Schock erlitten hatte, dass sie wie gelähmt war. Ich war damals, mit 16, unfähig, jemanden zur Rede zu stellen. Ich konnte nicht einmal mit Georg reden. Was konnte ich überhaupt?
    Dennoch mache ich ihr Vorwürfe, der Monika mit 16. »Du warst doch kein kleines Kind mehr! Du wusstest doch genau, was geschah! Hättest du dich doch nur umbringen lassen! Oder hättest du dich wenigstens gewehrt! Nichts wäre schlimmer gewesen als deine absolute Untätigkeit.«
    Werde ich jemals das Gefühl überwinden, ich sei schuld an Georgs Tod, weil ich ihn im Stich ließ, als er mich bat, mit ihm gemeinsame Sache zu machen und mich zusammen mit ihm zu wehren? Werde ich mir jemals verzeihen, dass ich schwieg?

XXVII
    Die Zeit zwischen meinem 16. Geburtstag und Ostern 1984 war ein einziges Chaos. Unsere Wohnung schien nur noch aus Sexmagazinen, Sexfilmen, Sexkassetten und dergleichen zu bestehen. Schon längere Zeit hatte Boris immer interessierter zugeschaut, wie Stefan sich selbst befriedigte. Es schien ihm zu gefallen. Allmählich wurde aus Zugucken Anfassen. Und plötzlich betrieben sie ihre Onanie zu zweit.
    Georg und ich mussten zwangsläufig mit ansehen, mit anhören, was passierte. So oft wie irgend möglich flüchteten wir zu Verwandten und versuchten es so einzurichten, dass wir dort auch übernachten konnten. Georg besuchte meist Oma Grete, während ich häufiger bei Tante Susanne war, der Schwester meiner Mutter, die Lehrerin geworden war.
    Da sie und Onkel Oskar endlich das lange vergeblich gewünschte Kind bekommen hatten, bot sich für mich immer wieder Gelegenheit, Babysitter zu spielen. Ich freute mich immer sehr auf das Baby. Wie schön es war, einen so kleinen, zarten Körper zu pflegen und zu streicheln. Zärtlichkeit ohne Bezahlung – ich war so glücklich, dass so etwas möglich war!
    Mit offenen Augen und Ohren verfolgte ich es, wenn Tante Susanne Schulanekdötchen zum Besten gab, Onkel Oskar von seiner Tätigkeit als Richter erzählte und beide sich natürlich über ihr Kindchen unterhielten. Sie tauschten Erfahrungen aus, lachten zusammen, trösteten und beruhigten einander. Es war schön für mich und traurig zugleich.
    Zwischendurch radelte ich zu Tante Inge, sooft ich auch nur ein halbes Stündchen erübrigen konnte. Tante Inge war nämlich krank. Brustkrebs. Daran konnte sie sterben. Mein Vater war außer sich, als er davon erzählte.
    »Weißt du, wovon man Krebs bekommt?«, schrie er mich an. »Wenn man sich aufregt. Und über wen hat sie sich aufgeregt?«
    Niemand wagte ein Wort. Alle starrten mich an.
    »Natürlich über unsere Alte!«, schrie mein Vater und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Hätte die sich an die Spielregeln gehalten und nicht lauter Lügen verbreitet, die Tante Inge alle mit anhören musste, wäre der Krebs nie ausgebrochen.«
    Ich konnte nichts dazu sagen. In mir war alles kalt und seltsam verhärtet. Krebs – was war das, wenn man daran sterben konnte? Etwas wie Malaria oder die Pest? Ansteckend?
    Wenn Tante Inge sterben musste, wollte ich auch sterben. An genau derselben Krankheit. Dann würden sie uns nebeneinander in ein Grab legen. Da wären wir nie mehr allein. Doch sooft ich Tante Inge, die langsam wieder von der schweren Operation genas, auch besuchte – ich wurde nicht krank.
    Tief unglücklich gestand ich Tante Susanne ein, warum ich in letzter Zeit so selten zu ihr kam. »Papa sagt, ich bin schuld, dass Tante Inge Krebs hat. Er sagt, ich bringe die Leute dazu, krank zu werden. Deshalb besuche ich sie jetzt so oft wie möglich.«
    Tante Susanne bekam vor Zorn finstere Augen. »Einen solchen Unsinn hat ja die Welt noch nicht gehört«, sagte sie. »Keiner ist schuld daran. Und du schon gar nicht. Krebs bekommt man auch nicht aus Ärger.«
    Ich hätte so gern erleichtert aufgeatmet. Aber sagte Tante Susanne die Wahrheit? Oder wollte sie mich nur davon abbringen, Tante Inge so oft zu besuchen?
    »Tante Inge hat mir von deinem Herzenswunsch erzählt«, sagte Tante Susanne. »Möchtest du wirklich so gern nach Berlin?«
    Berlin! Während meiner Kur hatte ich ein Mädchen aus Berlin kennen gelernt und mich ein wenig mit ihr angefreundet. Wir schrieben eifrig Briefe. Zu meinem Geburtstag hatte sie mir die Einladung geschenkt, sie für ein paar Tage zu

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