Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)
weil ich seine Beste bin, ja?«
»Was bist du für eine Mutter, wenn du eifersüchtig auf deine Tochter bist?« Ich fing an zu schreien. »Kapierst du denn nicht, dass ich meinen Vater als Vater mag, aber nicht deinen Mann als meinen Mann? Wenn er mir Zeug schenkt, dann doch bloß weil ich noch kein eigenes Geld habe, um mir etwas zu kaufen. Du hast welches. Wenn du dich für ihn schön machen willst, kannst du es dir selber kaufen.«
»Ich?« Meine Mutter lachte unecht auf. »Ich habe so wenig Geld wie du. Hast du vergessen, wie es ist, wenn ich mir mal etwas nehme? Und außerdem kann ich mich nicht einfach so schön machen. Für andere, da kann ich alles, doch für mich kann ich nichts. Nicht einmal meinen Mann kann ich für mich haben!«
»Aber du hast ihn doch!«, rief ich. »Du bist doch mit ihm verheiratet!«
»Ja«, sagte meine Mutter, »aber ins Bett will er lieber mit dir – was weiß ich, weshalb. Bin ja nicht dabei. Vielleicht kannst du irgendwas, das ich nicht kann. Außerdem hast du eine tolle Figur. Ich bin bloß noch fett, hab’s ja auch dauernd an der Schilddrüse gehabt und zu viel gefressen. Er behauptet immer, er steht auf dicke Frauen; und ich wollte ihm gefallen. Ich wollte echt gut für ihn sein – besser als du, damit er dich in Ruhe lässt und mir gehört. Aber ich hab’s nicht geschafft. Nichts habe ich geschafft, ganz egal, was.«
»Und trotzdem hast du das mit den Losen gemacht und mich zu ihm geschickt?«, rief ich. »Hast du auch gewusst, was er mit mir machen würde? Du hast es immer gewusst, nicht wahr?« Jetzt hatte ich sie! »Lies!« Ich hielt ihr das Buch vor die Augen. »Das Rote! Hast du gewusst, dass er das mit mir macht? Dass er mich zum Anpinkeln gern hat? Und dass er mir Arme und Beine am Tisch festbindet, weil er mich dann so toll im Griff hat, dass er mich besoffen ankotzen und dann stundenlang in seinem Zeug sitzen lassen kann – damit ich kapiere, wie das für ihn ist, wenn er mein Rückwärtsessen ertragen muss? Hast du das gewusst? Und der Töchtertausch, das mit Heike? Warum hast du nichts gemacht? Warum hast du das erlaubt?«
Meine Mutter presste die Hände vor den Mund. Keine Antwort ist auch eine Antwort. Aber ich war noch nicht fertig.
»Bildest du dir ernstlich ein, dass so ein dreckiger Scheiß schön ist, dass ich das gern mitmache? Mensch, ich weiß aus Büchern und aus der Therapie, dass 95 Prozent aller Prostituierten auch mal so angefangen haben. Aber du musst es ja aus eigener Erfahrung wissen. Guck doch, wozu die Spielchen deines Vaters geführt haben! Und ist ein Callgirl, oder wie immer du dich nennst, etwa keine Nutte?«
Meine Mutter begann zu weinen – mit starrem Gesicht, mit derselben toten Miene, die ich selbst oft aufsetze. »Doch«, flüsterte sie. »Ich bin einfach nie da rausgekommen. Ich hab gekämpft. Ich wollt nicht in so einem Loch wie hier landen. Ich wollt so viel. Nichts ist daraus geworden. Ich hab’s nicht geschafft.« Auf einmal blickte sie mir ins Gesicht. »Ich hab’s nicht einmal für dich geschafft. Ich hab’s versucht, irgendwie. Und du schaffst es auch nicht. Am Anfang vielleicht, wenn du hier raus bist, aber später, ich bin sicher, da hast du das Problem auch. Da kommst du nicht raus. Solche wie wir erreichen nichts im Leben.«
Meine Mutter stand auf und verschwand in der Küche. Wir sprachen nie wieder in ähnlicher Weise miteinander. Es hätte ein Traum gewesen sein können. Aber wir wussten beide, dass es diese kurze schmerzhafte Begegnung wirklich gegeben hatte.
Mehr denn je sah meine Mutter mich nach diesem Gespräch als ihre Feindin an. Ich glaube, sie litt daran, dass ich ihr auch in punkto Vergangenheitsbewältigung überlegen war. Ich hatte es geschafft, eine Therapie zu beginnen, Bücher zu lesen, mich zu informieren und vor allem über meine Probleme zu reden. Ich lernte, nein zu sagen. Ich war mit meinen 19 Jahren schon viel weiter aus unserem gemeinsamen Abgrund herausgekrochen, als sie es je für möglich hielt. Wieder war sie die Versagerin.
Vielleicht fragen Sie sich, warum ich meine Mutter nicht unmittelbar nach meinem 16. Geburtstag, nach der schlimmsten Erniedrigung meines Lebens, zur Rede stellte. Warum ich drei Jahre brauchte, bis ich den Mut hatte, sie mit meinen Fragen zu konfrontieren.
Ganz einfach, ich war mit 16 noch ein völlig unreifes Kind. Noch immer lutschte ich am Daumen, schlief mit meinem Plüschtier im Arm, hatte Angst im Dunkeln und ein absolut gestörtes Verhältnis zu
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