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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jaeckel
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äußerte. »Die?« Sie lachte. »Die lügt doch, wenn sie nur den Mund aufmacht. Die ist doch zu doof, ihren Namen zu schreiben. Was die von sich gibt, interessiert mich nicht.«
    Stefan war verzweifelt und am Boden zerstört. Auch wenn mein Vater seine Großzügigkeit unter Beweis stellte und ein Wort für ihn einlegte: »Schwamm darüber, Lena. Das Leben geht weiter. Wir sind alle mal jung gewesen, jeder hat mal Fehler gemacht. Reden wir nicht mehr darüber. Es kommen auch wieder bessere Zeiten.« Wie übel Stefan mitgespielt wurde, registrierte ich zunächst kaum. Erst Georgs Sorge um seinen großen Bruder machte mir in der Folgezeit klar, dass er genauso zum Opfer geworden war wie ich.
    Mein Vater mied in dieser unruhigen Zeit zwar das Kinderzimmer, nicht aber mich. Dass er mich sogar hatte schwängern können, ohne dadurch in ernsthafte Probleme zu geraten, schien ihn endgültig davon überzeugt zu haben, dass er sich alles, wirklich alles mit mir erlauben könne – völlig gefahrlos und ungestraft. Jede Hemmung, jede Rücksicht, jeder Anflug von Zärtlichkeit waren ausgelöscht. Sex ohne Grenzen.
    Georg, der sensibilisiert war durch das, was Stefan widerfuhr, bestürmte mich jetzt immer öfter: »Du musst es sagen! Wir brauchen Hilfe. Nur du kannst es tun.«
    Als ich einmal mit Knutschflecken übersät war und trotz des warmen Wetters einen Winterpulli mit Rollkragen und unter der langen Hose eine Strumpfhose trug, verlangte er wütend, dass ich mich im Sportunterricht ausziehen solle. »Du musst es der Lehrerin zeigen«, sagte er. »Wenn sie dich so sieht, kann sie nicht behaupten, du lügst. Die Flecke sind ein Beweis.«
    Die halbe Nacht redete er auf mich ein, bis ich endlich nachgab.
    »Du machst es!«, sagte er morgens, bevor er zur Schule aufbrach. »Wenn die Lehrerin herkommt, sage ich es auch!«
    In der Schule aber verließ mich der Mut. Nein, ich zog mich nicht aus – nicht einmal Georg zuliebe! Alle würden sehen, was ich mit meinem Vater trieb. Alle würden sagen: »Pfui, schaut euch diese Sau an!« Es reichte ja, dass ich selbst wusste, wie unfähig und verdorben und schlecht ich war. Die anderen mussten es ja nicht auch noch erfahren. Ich würde es ihnen nicht freiwillig beweisen.
    Georg war wütend und verzweifelt zugleich. »Das war unsere einzige Chance!«, schrie er mich an und ballte die Fäuste, als wollte er am liebsten auf mich einprügeln. »Du Versager! Du hast es verpatzt. Nichts bringst du auf die Reihe. Wie Mama! Du bist wie Mama!«
    Sein Weinen traf mich noch härter als der Vergleich mit meiner Mutter.
    Wir begannen im großen Stil zu stehlen. Boris, Georg und ich – die B.-Bande. Ladendiebstahl, Brieftaschenklau – es gab nichts, was uns geschreckt hätte. Boris machte es, weil er den Nervenkitzel liebte und immer bis auf den letzten Pfennig abgebrannt war. Georg und ich aber legten es darauf an, endlich aufzufallen.
    War es Pech oder Glück, dass mein Vater überall Freunde und gute Beziehungen hatte? Wie oft uns ein Kaufhausdetektiv auch schnappte, wie oft dieser oder jener Ladeninhaber auch zornig bei uns zu Hause anrief, um unsere neuesten Schandtaten zu vermelden – es blieb immer ein Spiel. Niemand schickte die Polizei zu uns nach Hause. Niemand kam zur Hausdurchsuchung. Niemand stieß auf das Geheimnis unseres Lebens.
    Doch als Stefans Zeitbombe hochging, konnte selbst mein rühriger Vater ihm nicht helfen.
    Stefans Zeitbombe hieß Unterschlagung. Ein reichlicher Griff in die Kasse seines staatlichen Lehrherrn kostete ihn den sichersten Job seines Lebens. Anzeige, Kündigung, Jugendrichter, Strafe – aus.
    Warum er es getan hatte? Die Gründe schienen für jedermann auf der Hand zu liegen. Er brauchte Geld. Oder er konnte der Versuchung nicht widerstehen. Doch nach den wahren Gründen, den Hintergründen fragte niemand. Es war ja auch so viel bequemer, über Labilität und sittliche Unreife zu lamentieren und die armen, geschlagenen Eltern zu bedauern, als sich Gedanken darüber zu machen, wie verzweifelt ein junger Mann sein muss, um das Gefühl zu haben, nur noch auf diese versteckte Weise um Hilfe schreien zu können, weil niemand ihm je zugehört hatte.
    Ich selbst erlebte Stefans Verurteilung nur aus der Ferne mit. Tante Inge, die sich wohl doch ernsthafter Sorgen machte, als ich wusste, hatte gegen den Wunsch meiner Eltern eine dreiwöchige Kur für mich durchgesetzt. Nur durch Georgs Briefe erfuhr ich dort, was zu Hause vor sich ging.
    Wie nicht anders zu

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