Monkeewrench 04 - Memento
aus losgeschickt, aber sie haben die Spur nach einem halben Hektar verloren. Die Spuren verschwinden schnell, jetzt schwärmen sie also einfach nur aus. Ich habe einen weiteren Trupp um Julie Albrights Haus zusammengezogen, die anderen gehen so schnell wie möglich von Haus zu Haus, aber es sind verdammt viele Häuser.»
«Zeigen Sie uns den Weg», sagte Magozzi.
«Ich wollte sowieso gerade dorthin zurück.»
Sie führte sie um den großen Gebäudekomplex herum anstatt mitten hindurch. Hier gab es keine Wege, doch die Deputys, die vor ihnen dort gewesen waren, hatten bereits eine Schneise durch den Schnee geschlagen. Iris ging sehr schnell.
«Er hat Schneeschuhe an», erklärte sie ihnen im Gehen. «Die Spuren sind leicht zu erkennen, aber wir können nicht sagen, wie viel Vorsprung er hat. Die Kameras sind eingefroren und konnten sich nicht mehr bewegen, das hat auch die Bewegungsmelder außer Kraft gesetzt. Das ganze Überwachungssystem liegt lahm. Er kann also überall sein.»
«Wie viele Leute bewachen Julie Albright?»
«Vier draußen, zwei drinnen. Wir haben Julie und ihre Tochter in einem abgeschlossenen Zimmer untergebracht.»
Als Iris Julies Namen laut aussprach, traf sie das wie ein Schlag und brachte ihre Gedanken, wenn auch nicht ihre Beine, zum Stillstand. Was zum Teufel machte sie hier eigentlich? Wann hatte sie angefangen, sich selbst so zu überschätzen? Sie hatte den amtierenden Sheriff aus dem Amt gehebelt, der immerhin gewusst hatte, wie man diesen Job machte, und ihre Beweggründe waren alles andere als nobel gewesen. Und was war das Ergebnis? In einem Haus nicht weit von hier saß eine zugrunde gerichtete Frau mit einem wunderschönen Kind, und ob die beiden die Nacht überlebten, hing einzig und allein davon ab, ob sie, die hier Sheriff spielte, alles richtig machte.
Sie drehte sich um und sah Magozzi und Gino an. «Was noch?», fragte sie, und ihre Stimme war ein einziges Flehen. «Was muss ich sonst noch tun? Was habe ich vergessen? Sampson ist weg, um nach seiner Schwester zu sehen ...»
Plötzlich sah sie völlig verängstigt aus, ganz anders als die selbstbewusste Frau, die gerade noch wie ein alter Hase die Deputys dirigiert hatte, und Magozzi begriff. Sie hatte sich den ganzen Tag auf Sampson gestützt, er war ihre Krücke gewesen, ihr Lehrer, doch im entscheidenden Moment war er nicht mehr da gewesen. Sie hatte das alles allein gemacht, und jetzt war sie nicht mehr sicher, ob es auch reichte. Es würde Jahre der Berufserfahrung brauchen, bis sie begriff, dass man immer das Gefühl hatte, zu wenig zu tun.
«Das klingt doch gut», sagte er, weil es die schlichte Wahrheit war. Er war nicht allzu gut im beruhigenden Schulterklopfen.
«Genau, wie wir's in der Stadt machen würden», fügte Gino hinzu. «Solange einer der Leute draußen vor Julies Haus den Überblick behält... Manchmal sind die Leute, die ein Haus bewachen, nämlich so darauf fixiert, dass sie vergessen, die Umgebung im Auge zu behalten...»
Iris ließ ihn kaum ausreden, sie sprach bereits in das Funkgerät, das sie unter dem Anorak an der Schulter trug. «Danke», sagte sie zu Gino, als sie fertig war. «Das wäre mir nicht eingefallen.»
Gino zuckte die Achseln. «Nächstes Mal fällt es Ihnen ein.»
Bei Tageslicht hatte das Dorf idyllisch gewirkt. Jetzt, bei Nacht, sah es aus wie eine hübsche Weihnachtskarte mit einem Fehler darin. An vielen der kleinen Häuser waren noch bunte Lichterketten befestigt, deren Farben unter dem Schnee weich und gedämpft wirkten, und die Zweige sämtlicher Bäume glitzerten unter ihren frischen Hüllen aus Eis. Doch auf den schmalen Straßen patrouillierten bewaffnete Männer und Frauen auf und ab und näherten sich den freundlichen Eingangstüren wie unheilkündende Halloween-Geister. Hier und da sah man ein verängstigtes, besorgtes Gesicht hinter einem erleuchteten Fenster.
«Die Leute müssen von den Fenstern wegbleiben», sagte Magozzi, und Iris nickte.
«Mit dem Häuserblock hier haben wir gerade erst angefangen. Ich wollte zuerst die Häuser durchhaben, die ans offene Feld grenzen, auf direktem Weg von der Stelle, wo der Zaun durchtrennt wurde.»
«Dann kümmern wir uns mal um die Häuser hier.»
Sie teilten sich auf und beeilten sich, und nach zehn Minuten und vier Häusern hatte Magozzi das Gefühl, es nicht ertragen zu können, wenn er nur noch einmal diesen gehetzten Blick in den Augen einer Frau sah. Lieber Himmel. Jedes Gesicht hinter jeder Tür trug denselben
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