Monkeewrench 04 - Memento
Sonne unterging.
Die Jagd hatte lange gedauert. Sie begann im Haus und hinterließ eine Spur zerstörter Möbel, während Maggie von einem Versteck zum nächsten floh und es schließlich nach draußen in den Vorgarten schaffte, schreiend, blutend, weinend. Sie wusste, dass die Nachbarn sie hören würden. Doch sie wusste auch, dass es längst zu spät war, denn Roy war direkt hinter ihr, und er schwang immer noch das Brecheisen. Inzwischen sah er nicht einmal mehr aus wie ihr Mann, nur noch wie ein rotgesichtiges Bündel blinden Zorns, aus einem Horrorfilm entsprungen. Denn Maggie hatte das Undenkbare getan: Sie hatte zum ersten Mal in ihrem Leben versucht, sich zu wehren. Es war eine mondlose Nacht, nur die Sterne stickten ein Spitzenmuster in den dunklen, schwarzen Himmel. Das fiel ihr auf, trotz aller Angst, kurz bevor das Brecheisen ein letztes Mal auf ihren Schädel niederging.
Dort, wo der Knochen schließlich doch wieder zusammengewachsen war, hatte sie noch immer eine deutlich sichtbare Delle - eine Art Vorsprung, der ihren Hinterkopf aussehen ließ wie das umgedrehte Gesicht eines Neandertalers. Sie verbarg ihn unter auftoupiertem Haar. Nur wenige Menschen wussten davon. Laura gehörte zu diesen Wenigen, und zu ihr ging Maggie immer, wenn es Schwierigkeiten gab. Selbst Opfer von Misshandlungen, hatte sie Bitterroot vor sechzig Jahren zusammen mit ihrer Schwester Ruth gegründet und seitdem jedes Jahr ihres Lebens darauf verwendet, einen Zufluchtsort zu errichten, wo Frauen angstfrei leben konnten. Nach Maggies Ansicht hatte die alte Dame jeder einzelnen Bewohnerin von Bitterroot und damit auch ihr das Leben gerettet, und dieses Wissen gab ihr die Kraft, sich den nächtlichen Dämonen zu stellen und gleich nach Iris' Anruf durch Eis und Schnee zu Lauras Farmhaus zu eilen.
Natürlich glaubte sie nicht ernsthaft, Kurt Weinbeck oder sonst ein ungebetener männlicher Gast könnte tatsächlich auf das Gelände vordringen. Die Kameras würden ihn erfassen, sobald er sich dem Zaun näherte, dann würde die Zaunpatrouille über die Monitore alarmiert werden, und ein Team gut ausgebildeter, bewaffneter Frauen würde vor Ort sein, ehe er es auch nur auf die andere Seite schaffte. An der Zaunpatrouille kam keiner vorbei. Längst nicht mehr.
Das Farmhaus befand sich im Grunde ganz nah an der Hauptsiedlung, doch es lag weit genug weg und einsam genug, dass der Weg dorthin zur Herausforderung wurde für eine Frau, die sich im Dunkeln fürchtete. Maggie war unverhältnismäßig stolz auf sich, weil sie ihn auf sich genommen hatte, und dachte bei sich, dass es ihr nach all den Jahren vielleicht langsam doch ein wenig besserging.
Sie fand Laura in ihrem Lieblingssessel vor dem Kamin, in einem abgetragenen Frotteebademantel, der ein paar Nummern zu groß war für ihre schmale Gestalt. Er war vom jahrelangen Waschen ganz ausgebleicht und an den Ärmeln so ausgefranst, dass man es nicht mehr richten konnte, doch er hatte ihrer Schwester Ruth gehört, die seit vielen Jahren tot war, und sie weigerte sich, ihn herzugeben. Maggie wunderte sich nicht darüber, dass die alte Dame so spät noch auf den Beinen war. In letzter Zeit brachte Laura immer öfter die Tageszeiten durcheinander.
«Wir müssen unsere Türen heute Nacht gut verschlossen halten, Laura», sagte Maggie zu ihr, und im selben Moment wurden Lauras Augen schmaler, ihr Blick wurde schärfer, und Maggie sah wieder die standhafte, kluge Frau vor sich, die Laura einmal gewesen war, ehe ihr scharfer Verstand sie nach und nach im Stich gelassen hatte.
«Was ist passiert?»
«Julie Albrights Exmann ist auf dem Weg hierher. Sheriff Rikker glaubt, er wird versuchen, zu ihr zu gelangen.»
Ein Funke des alten Feuers flammte in Lauras Augen auf. «Soll er es doch versuchen. Durch den Zaun kommt er niemals durch.»
Doch keine halbe Stunde später erhielt Maggie einen Anruf vom Sicherheitsdienst, der ihr mitteilte, dass der Eissturm die Kameras und die Bewegungsmelder lahmgelegt hatte und der Zaun an einer Stelle durchtrennt worden war. Maggie war überzeugt, dass diese Nachricht Laura völlig aus der Fassung bringen, sie in Sekundenschnelle in den grauen Abgrund des Stumpfsinns zurückversetzen würde, in den sie stets verfiel, wenn sie erschöpft war oder unter Stress stand. Doch Laura überraschte sie.
«Wo ist Julie?», fragte sie so wach und aufmerksam, wie Maggie sie seit langem nicht mehr erlebt hatte.
«In ihrem Haus, sie wird bewacht. Von unseren
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