Monkeewrench 06 - Todesnaehe
Zusammen mit den gleichmäßig verteilten Straßenlaternen machte er die Autoscheinwerfer völlig überflüssig. Und als Grace in die private Zufahrt einbog, wiesen ihr die zu beiden Seiten in die glatte Asphaltfläche eingelassenen Lämpchen sicher den Weg auf den großen, leeren Parkplatz.
«Mann, dieser Mond ist ja heller als das Yankee-Stadion beim Entscheidungsspiel», flüsterte Harley vom Rücksitz. «Von Verschwinden kann da wohl keine Rede sein.» Roadrunner und er hatten Charlie zwischen sich, und beide hielten einen Arm um den Hund gelegt, wie zwei Kinder, die ein tröstliches Stofftier umklammern.
Seit sie Harleys Anwesen verlassen hatten, flüsterten sie nur noch, abgesehen von der Schrecksekunde, als Grace fast einen Linienbus gerammt und Annie «Vorsicht!» gebrüllt hatte. Unter normalen Umständen hätte sie einen Auffahrunfall mit einem dieser metallenen Monster zwar durchaus befürwortet. Die Mistdinger hielten den Verkehr auf, beanspruchten ganze Fahrspuren für sich, und ihre arroganten, präpotenten Fahrer führten sich auf, als gehörte ihnen die ganze Straße. Doch der heutige Abend war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um sich mit einem überbezahlten städtischen Angestellten anzulegen.
Annie rutschte auf dem Beifahrersitz herum, während sie am Rand des Parkplatzes entlang bis zu der Stelle fuhren, die dem achtzehnten Loch am nächsten lag. Dort hatte John Smith im Sommer zuvor mit Gino und Magozzi seinen ersten richtigen Polizeieinsatz erlebt. Sie wollte schon den Sicherheitsgurt lösen, der für die Federn an ihrem Kleid sowieso reines Gift war, doch Grace hatte offensichtlich nicht vor zu parken. Stattdessen trat sie das Gaspedal durch, nahm wild entschlossen die Betonschwelle, die den Parkbereich vom eigentlichen Golfplatz trennte, und raste dann über die sorgsam gemähte und gepflegte Spielbahn in Richtung achtzehntes Loch. Tiefe Fahrrinnen blieben hinter ihr zurück.
«Jesses, Kindchen, was machst du denn?», keuchte Annie. «Das ist allerschwerste Sachbeschädigung.»
Grace beachtete sie gar nicht. Sie hielt erst an, als der Mond die rot-weiße Fahne beschien, die mitten im letzten Grün steckte. Dort stellte sie den Motor ab, damit er keinen Lärm machte, ließ die Hand aber am Zündschlüssel.
«Was machen wir hier?», flüsterte Annie.
«Wir warten.» Grace behielt das Seitenfenster, sämtliche Rückspiegel und die Windschutzscheibe im Blick, trotzdem sah sie ihn nicht kommen.
Als das Gesicht urplötzlich neben ihm am Fenster auftauchte, ging Harley vor Schreck fast durch die Decke, und der Gurt schnitt ihm tief in den Bauch. Bevor er wieder richtig saß, hatte er schon seine .375er gezückt und sie auf den Mann vor dem Fenster gerichtet. «Herrgott!», brummte er. Sein Finger zitterte am Abzug. Der Mann da draußen sah alt aus, er hatte einen grauen Pferdeschwanz und graue Bartstoppeln im Gesicht, war abgerissen gekleidet. Wahrscheinlich ein obdachloser Junkie. Doch als er die vier Waffen auf sich gerichtet sah, grinste er. Das half.
«Meine Güte!» Harley keuchte auf, als er ihn am seltenen Lächeln erkannte. «Das ist John!»
Auch Grace entfuhr ein Keuchen. Sie ließ ihre Sig sinken, und John stieg hinter ihr in den Wagen, wobei er Harley auf den mittleren Platz gleich neben Roadrunner drängte und Charlie auf die Ablage hinter dem Rücksitz. Den Hund störte das offensichtlich nicht weiter: Er leckte John ohne viel Federlesens den Nacken, dann jaulte er leise und glücklich, als John nach hinten griff, um ihm die Ohren zu kraulen.
Es gab keine Begrüßungen, kein großes Gerede. John beugte sich nur kurz vor und legte Grace eine Hand auf die Schulter.
«Bist du sicher, dass euch keiner gefolgt ist?», fragte er.
«Ganz sicher.» Grace ließ den Rover schon wieder auf die Zufahrtsstraße rollen, ohne die Scheinwerfer einzuschalten. «Wohin jetzt, John?»
«Erst mal raus aus der Stadt. Gerade, ebene Straßen, auf denen wir weit hinter uns sehen können.»
«Du wirst uns aber einiges erzählen müssen, Amigo», meinte Harley.
«Später. Sobald wir aus der Stadt raus sind und sicher sein können, dass uns niemand folgt.»
Keiner von ihnen konnte etwas Verdächtiges entdecken, als Grace wieder in die ruhige Wohnstraße einbog: überall nur parkende Autos vor schlafenden Häusern ohne Garagen. Grace blieb genau innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung, und alle hielten nach einem Verfolger Ausschau, der vielleicht aus einer Parklücke scherte, um ihnen
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