Monster
sagte Stargill. »Ich wusste noch nicht mal, dass ich es überhaupt hatte.«
»Wo haben Sie’s gefunden?«, sagte Milo.
»In meinem Büro. Ich bin da heute früh noch mal vorbeigefahren, bevor ich hierher kam, um die gemeinsamen Unterlagen von Ciaire und mir noch mal durchzugehen: Scheidungsunterlagen, die Urkunde, mit der ich ihr das Haus übertragen habe und so weiter. Das alles ist draußen im Wagen - Sie können mitnehmen, was Sie wollen. Das Bild ist zwischen ein paar Papieren herausgerutscht.«
Stargill wandte sich an mich: »Ich nehme an, dass ein Psychologe da einiges herauslesen kann - aus der Tatsache, dass ich es immer noch hatte. Vielleicht sagt es ja was aus über mein Unterbewusstsein, ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass ich es bewusst aufgehoben hätte. Und es war schon ein reichlich bizarrer Moment, es wieder vor Augen zu haben. Wir sehen ziemlich glücklich aus, nicht?«
Ich betrachtete das Foto ein wenig eingehender. Hinter den Frischverheirateten war ein Altar zu sehen, der einen ziemlich mickrigen Eindruck machte und mit Flitter bestreut war.
»Las Vegas?«, fragte ich.
»Reno«, erklärte Stargill. »Eine Bruchbude von einer Hochzeitskapelle, wie man sich’s schlimmer kaum vorstellen kann. Geleitet von einem alten Knacker, der schon halb blind war und vermutlich obendrein auch noch besoffen. Als wir in Reno ankamen, war es schon nach Mitternacht, und der alte Knacker wollte seinen Laden eigentlich dichtmachen. Ich habe ihm dann einen Zwanziger zugesteckt, damit er uns noch im Schnellverfahren traut. Seine Frau war schon nach Hause gegangen, also hat noch ein anderer alter Knabe, der Hausmeister oder so, den Trauzeugen gemacht. Hinterher haben Ciaire und ich uns köstlich darüber amüsiert, dass die beiden vermutlich schon senil waren und die Hochzeit deshalb ungültig.«
Er legte die Hände auf den Küchentresen und starrte mit leerem Blick durch den Raum. »Als wir hier zusammengewohnt haben, hatten wir alles Mögliche - Entsafter, Mixer, Kaffeemaschine und was sonst nicht alles. Sobald es irgendwas Neues gab, wollte Ciaire es haben … Ich frage mich, was sie wohl damit gemacht hat, sieht so aus, als hätte sie alles loswerden wollen.«
»Irgendeine Vorstellung, wie sie dazu kam?«, sagte ich.
»Nein«, erwiderte er. »Wie gesagt, wir hatten keinen Kontakt miteinander. Um genau zu sein, selbst damals, als wir noch zusammen waren, wusste ich eigentlich nichts von ihr. Außer dass sie ganz versessen auf Kino war - sie konnte sich jeden Abend einen Film anschauen. Manchmal hatte ich den Eindruck, als ob es überhaupt keine Rolle spielte, was für ein Film lief, sondern dass es ihr nur drauf ankam, im Kino zu sitzen. Aber ansonsten hatte ich keine Ahnung, wie sie eigentlich wirklich war.«
»Wo haben Sie sich kennen gelernt?«
»Das ist noch so eine romantische Geschichte: In einer Hotelbar. Im Marriott am Flughafen, um genau zu sein. Ich war dort und wartete auf einen Klienten aus Fernost, der aber nie aufgetaucht ist, und Ciaire nahm an einer Tagung für Psychologen teil. Ich sitze also an der Bar, ziemlich mies gelaunt, weil dieser Kerl immer wieder diese Nummer bei mir abzieht und ich deswegen einen halben Tag vergeudet habe, und plötzlich kommt Ciaire hereingeschneit, sieht klasse aus und setzt sich ein paar Hocker weiter an die Bar.«
Er deutete auf das Foto. »Sie sah damals wirklich toll aus, das sehen Sie ja selbst. Obwohl ich normalerweise auf ganz andere Frauen stand, aber vielleicht war es ja gerade das.«
»Ganz anders in welcher Hinsicht?«, fragte ich.
»Die Frauen, mit denen ich Beziehungen hatte, waren Sekretärinnen aus Anwaltsbüros, Anwältinnen, ein paar Models und Möchtegern-Schauspielerinnen - also Mädels, die Wert legten auf Mode, Make-up und, na ja, gutes Aussehen im Sinne von körperlicher Schönheit. Ciaire sah haargenau aus wie das, was sie war - eine Wissenschaftlerin. Prima Figur, aber ohne sich dafür abzurackern. An dem besagten Nachmittag trug sie eine Nickelbrille und eines von diesen langen bedruckten Kleidern. Ihre ganze Garderobe bestand nur aus solchen Kleidern, dazu noch ein paar Jeans und T-Shirts. Kein Make-up. Keine hochhackigen Schuhe, sondern offene Sandalen. Ich kann mich noch erinnern, dass ich auf ihre Füße geschaut habe. Sie hatte richtig hübsche Füße, ganz weiße Zehen, wirklich umwerfend. Sie sah, dass ich sie anstarrte, und fing an zu lachen. Es war eher ein tiefes Kichern, das ich zu meiner eigenen Überraschung
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