Monster
konnte er das wissen. Ich meine, das macht doch überhaupt keinen Sinn. Das Ganze hat nichts zu bedeuten, ja?«
»Vermutlich haben Sie Recht«, sagte ich. »Hatte dieser Mann Kontakt zu irgendjemandem, der eventuell geplant haben könnte, Ciaire etwas anzutun? Vielleicht jemand, der entlassen worden ist?«
»Nie im Leben. Er hatte zu niemandem Kontakt. Punkt. Und außerdem ist niemand entlassen worden, seit ich da arbeite. Aus Starkweather kommt niemand raus.«
»Wie lange arbeiten Sie schon dort?«
»Fünf Monate. Ich habe kurz nach Ciaire angefangen. Aber ich halte es wirklich für Zeitverschwendung, nach irgendwelchen Freunden von dem Kerl zu suchen. Ich hab ja schon gesagt, niemand gibt sich mit ihm ab. Abgesehen von seinen mentalen Poblemen hat er auch noch körperliche Funktionsstörungen. Tardive Dyskinesie.«
»Was ist das?«, fragte Milo.
»Nebenwirkungen von antipsychotischen Medikamenten. In seinem Falle sind sie ziemlich schlimm. Sein Gang ist wacklig, er streckt dauernd die Zunge heraus und rollt mit dem Kopf herum. Manchmal wird er von Aktivitätsschüben gepackt und marschiert auf der Stelle oder sein Hals knickt einfach seitlich ab, so ungefähr.«
Sie führte es vor, während sie sich wieder aufrichtete. »Das ist alles, was ich weiß. Ich möchte jetzt gern gehen, wenn das in Ordnung ist.«
Milo sagte: »Sein Name, Ma’am.«
Wieder fingerte sie an ihrem Pferdeschwanz herum. »Wir haben die strikte Anweisung, keine Namen zu nennen. Selbst unsere Patienten genießen Datenschutz. Aber ich nehme an, das alles spielt keine so große Rolle, wenn …»Sie ließ die Arme herunterbaumeln und verschränkte die Finger vor ihrem Unterleib, als wollte sie sich schützen.
»Also gut«, sagte sie. »Sein Name ist Ardis Peake, vielleicht haben Sie schon von ihm gehört. Ciaire hat gesagt, er wäre eine grausige Berühmtheit. Die Zeitungen haben ihm einen Spitznamen verpasst: Monster.«
10
Milos Gesichtsmuskulatur wirkte eine Idee zu entspannt. Es kostete ihn offensichtlich Mühe, Ruhe zu bewahren. »Ich habe schon von Peake gehört.« Das hatte ich auch.
Vor langer Zeit, ich hatte damals noch nicht einmal mein Diplom - mindestens fünfzehn Jahre lag das zurück.
Heidi Otts Gelassenheit war echt. Sie war damals gerade in der Grundschule. Ihre Eltern hatten sie vermutlich von Einzelheiten abgeschirmt.
Ich erinnerte mich an die Meldungen, die in den Zeitungen gestanden hatten.
Ein kleines Kaff namens Treadway, oben im Farmland eine Stunde nördlich von L.A. Plantagen mit Walnüssen, Pfirsichen, Erdbeeren und Paprika. Ein richtig hübscher Ort, wo die Leute nicht einmal ihre Haustüren abschlossen. Das jedenfalls hatten die Zeitungen damals besonders erwähnenswert gefunden.
Es gab im Ort zwei >führende< Familien, und bei einer der beiden hatte die Mutter von Ardis Peake als Hausmädchen und Köchin gearbeitet. Es war ein junges Ehepaar gewesen, mit ererbtem Vermögen, beide gut aussehend, das in einem alten zweistöckigen Fachwerkhaus wohnte - wie hießen sie noch mal? Der Name Peake kam mir sofort bekannt vor.
Ich erinnerte mich an Bruchstücke seiner Biographie. Peake war in Oregon geboren worden, in einem Holzfällercamp. Der Vater war unbekannt. Die Mutter hatte für die Waldarbeiter gekocht.
So weit bekannt war, hatten sie und der Junge den Großteil seiner Kindheit damit verbracht, die Küste hinauf und hinunter zu ziehen. An einer Schule war er anscheinend nie angemeldet gewesen, und als Ardis Peake und seine Mutter mit dem Greyhound in Treadway landeten, konnte er trotz seiner neunzehn Jahre weder lesen noch schreiben, war unnatürlich schüchtern und ganz offensichtlich anders als andere Jugendliche seines Alters.
Noreen Peake schrubbte Böden in Kneipen, bis sie den Job auf der Ranch an Land zog. Sie wohnte im Hauptgebäude, hatte ein Dienstmädchenzimmer neben der Küche, während Ardis in eine kleine Hütte hinter einer Pfirsichpflanzung abgeschoben wurde.
Er war schlaksig, unbeholfen, geistig träge und so schweigsam, dass etliche Dorfbewohner glaubten, er sei stumm. Zu wenig Arbeit - nämlich gar keine - und zu viel freie Zeit führten dazu, dass er zwangsläufig in Schwierigkeiten geriet. Er wurde allerdings nie bei etwas Schlimmerem erwischt als beim Schnüffeln von Farbe und Verdünner hinter dem Heimwerkerladen des Ortes. Dennoch wurden dadurch die gängigen Vorurteile gegen ihn nur bestätigt, denn wer sich am helllichten Tage bei etwas derart Dämlichem erwischen ließ,
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