Monster
Bis schließlich all ihr Geld für Mehl, Zucker und Eier draufging und sie angefangen hat, bei den Nachbarn Backzutaten zu klauen. Die haben schließlich dafür gesorgt, dass sie eingeliefert wurde.«
»Hört sich eher wie eine manische Verhaltensstörung an als nach Schizophrenie«, sagte ich. »Hat man es bei ihr mit Lithium versucht?«
»Das ist schon Jahre her, Alex. Sie ist dann in der Anstalt gestorben - an ihrem Abendessen erstickt. Ziemlich schlechter Witz, oder? Die andere war Tante Renee. Die ist durch die Gegend gestolpert und sah einfach fürchterlich aus. Allerdings ist sie ziemlich alt geworden. Auch in einem Pflegeheim gestorben.«
Er lachte. »So weit zu meiner Ahnentafel.«
»Ich hatte einen schizophrenen Cousin«, sagte ich. »Brett. Er war zwei Jahre älter als ich und der Sohn des älteren Bruders von meinem Vater. Als Kinder hatten wir zusammen gespielt. Brett war unglaublich ehrgeizig, musste immer der Beste sein und fing deshalb an zu schummeln, zu mogeln und zu beschei-ßen, was das Zeug hielt. Am Ende seiner Zeit am College wusch er sich nicht mehr und redete auch mit niemandem mehr. Allerdings wurde er andauernd wegen Drogenvergehen verhaftet, bis er schließlich für fünf Jahre völlig von der Bildfläche verschwand und in einem Pflegeheim in Iowa wieder auftauchte. Ich nahm an, dass er immer noch lebte. Der letzte Kontakt zwischen uns lag zwei Jahrzehnte zurück. Unsere Väter standen einander nicht sonderlich nahe …«
»Na prima«, sagte Milo. »Verkorkste Stammbäume. Demnächst landen wir noch in Starkweather.«
»Starkweather ist nur für die Auserwählten«, sagte ich.
»Stimmt ja, die bösen kleinen Irren. Also, wie kommt’s, dass Leute, die verrückt sind, außerdem noch gewalttätig werden?«
»Noch so eine nobelpreisverdächtige Frage. So wie es scheint, spielen Alkohol und Drogenmissbrauch eine entscheidende Rolle sowie ein starker Hang zu Wahnvorstellungen. Wozu nicht unbedingt paranoide Wahnvorstellungen zählen. Psychotiker, die Menschen umbringen, tun dies nicht, weil sie glauben, sie müssten sich gegen irgendwelche Angreifer verteidigeri, sondern meist aufgrund paranormaler oder religiöser Wahnvorstellungen - dass sie einen Kampf gegen Satan auszufechten haben oder Eindringlinge aus dem Weltall bekämpfen müssen.«
»Ich frage mich, in welchem Auftrag Peake wohl unterwegs war.«
»Das weiß nur Gott allein«, sagte ich. »Schnaps und Drogen waren ganz offensichtlich auch da im Spiel. Kann sein, dass all das, was bei ihm in Hinsicht auf Sexualität in neunzehn Jahren schiefgelaufen ist, auf einmal zum Ausbruch kam. Oder dass es einen Kurzschluss in einer Schaltstelle in seinem Gehirn gab. Wir haben einfach keine Ahnung, warum manche Psychotiker auf einmal ausrasten.«
»Na prima. Da werde ich ja nie arbeitslos«, brummte er.
»In gewisser Hinsicht ist Peake ein typischer Fall«, sagte ich. »Schizophrene Ausbrüche erfolgen meistens an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Und bei ihm gab es schon lange vor dem großen Knall ganz deutliche schizotypische Anzeichen - das ist die elegante Ausdrucksweise für Verschrobenheit oder Kauzigkeit. Geringe mentale Fähigkeiten, problematisches Sozialverhalten, mangelnde Hygiene, exzentrisches Verhalten. Manche Exzentriker verharren in dem Stadium leichter Verschrobenheit, während bei anderen die Schizophrenie voll ausbricht.«
»Kauzigkeit«, sagte Milo. »Man braucht ja nur mal im Park spazieren zu gehen oder aus einem Restaurant rauszukommen, schon laufen einem irgendwelche kauzigen Typen über den Weg, die einen um Kleingeld anhauen. Wie kann man sagen, wer von denen irgendwann mit einem Hackebeil rumfuchtelt?«
Ich erwiderte nichts.
Er sagte: »Wenn Peake jemals in der Lage war, einigermaßen klar zu denken, dann muss er damals aber in wesentlich besserer Verfassung gewesen sein als jetzt.«
»Wahrscheinlich. Obwohl es sein kann, dass hinter all den tardiven Symptomen auch jetzt noch Gedankengänge ablaufen.«
»Was genau bedeutet >tardiv< überhaupt?«
»Spätfolgen von Thorazin.«
»Ist das reversibel?«
»Nein. Im besten Falle wird es nicht schlimmer.«
»Aber er war doch immer noch geistesgestört. Wozu ist das Thorazin in seinem Fall dann überhaupt gut?«
»Was Neuroleptika bewirken können, ist, Wahnvorstellungen, Halluzinationen und bizarres Verhalten unter Kontrolle zu halten. Die Psychiater nennen das die positiven Symptome von Schizophrenie. Die negativen Symtome - mangelndes Sprachvermögen,
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