Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Monster

Monster

Titel: Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
verändert: um die sechzig, mittelgroß, allmählich ergrauendes helles Haar, weißer Bart, große Nase und engstehende braune Augen hinter einer Fliegerbrille. Er trug ein Sportsakko mit Fischgrätmuster und breitem Revers, das eine ähnliche Farbe hatte wie Eistee, dazu eine beige Weste mit blauen Karos, ein weißes Hemd und eine blaue Krawatte.
    Ich folgte ihm in sein Büro. Er war stellvertretender Leiter der Abteilung Psychiatrie und darüber hinaus ein angesehener Forscher auf dem Gebiet der Neurochemie, doch was die Räumlichkeiten anging, so war er nicht viel besser gestellt als seine Sekretärin. Das Mobiliar bestand in erster Linie aus Aktenschränken und wirkte wie auf dem Sperrmüll zusammengesucht. Daneben noch ein paar Stühle und ein Schreibtisch aus braunem Metall, der voll gepackt war mit Akten und Papieren, sowie Regale, die sich unter der Last einer wahren Flut von Büchern bogen. Vor Jahren war einmal der Versuch unternommen worden, das gesamte Erscheinungsbild des Raumes mit einer Navajo-Teppichimitation aufzulockern, doch jene befand sich, nachdem ihre Farben bereits verblasst waren, im Zustand schleichender Auflösung.
    Theobold quetschte sich hinter den Schreibtisch, während ich auf einem der beiden Metallstühle Platz nahm, wobei der Pseudo-Navajo noch mehr Falten schlug.
    »Nun«, sagte er. »Das ist ja schon eine ganze Weile her. Offiziell sind Sie immer noch Mitglied der Fakultät, oder?«
    »Emeritiert«, sagte ich. »Ohne Bezüge.«
    »Wann waren Sie zum letzten Mal hier?«
    »Vor ein paar Jahren«, erklärte ich. Seine Bemühungen um einen herzlichen Umgangston ließen die Furchen in seinem Gesicht nur noch tiefer werden. »Es ist sehr freundlich, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.«
    »Kein Problem.« Er räumte den Schreibtisch in der unmittelbaren Umgebung des Telefons frei. Papiere segelten durch die Luft. »Ich wusste gar nicht, dass Sie so ein interessantes Dasein führen - Polizeiberater. Bezahlen die gut?«
    »Ungefähr so wie das staatliche Gesundheitswesen.«
    Er quälte sich ein Lachen ab. »Und ansonsten? Immer noch bei Western Peds?«
    »Gelegentlich. In der Hauptsache als Gutachter in Sorgerechtsfragen. Manchmal übernehme ich auch Kurzzeittherapien.«
    Er nickte. »Und jetzt sind Sie also hier wegen der armen Ciaire. Ich nehme an, dieser Detective geht davon aus, dass ich Ihnen etwas anvertrauen würde, was ich ihm verschwiegen habe, aber es gibt wirklich nichts, das ich Ihnen darüber hinaus noch erzählen könnte.«
    »Ich vermute eher, er war der Meinung, dass es darauf ankommt, die richtigen Fragen zu stellen.«
    »Ich verstehe«, sagte er. »Ein zäher Bursche, dieser Sturgis. Lässt einfach nicht locker. Und schlauer, als er einen vermuten lässt. Er hat versucht, mich mit dem Appell ans Klassenbewusstsein weichzuklopfen - >ich nur erbärmlicher Bulle aus Arbeiterklasse, Sie großer, kluger Doktor<. Nicht uninteressant, diese Taktik. Funktioniert sie auch?«
    »Er hat eine ganz gute Aufklärungsquote.«
    »Schön für ihn … Das Problem ist nur, dass er sein schauspielerisches Talent bei mir völlig vergeudet hat, weil es keine Geheimnisse gab, die ich ihm hätte verschweigen können. Ich kannte Ciaire nur in ihrer Eigenschaft als Mitarbeiterin an unserem Forschungsinstitut. Persönlich hatte ich so gut wie nichts mit ihr zu tun.«
    »Das sagt irgendwie jeder.«
    »Nun gut«, sagte er. »Dann falle ich ja wenigstens nicht groß aus dem Rahmen … Also kann Ihnen sonst auch niemand was zu ihr erzählen?«
    Ich nickte.
    »Und ich dachte schon, es läge an mir und der Art, wie ich meine Projekte laufen lasse.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Ich sehe mich gerne in der Rolle der ordnenden Hand im Hintergrund: Ich verpflichte kompetente Mitarbeiter, vertraue darauf, dass sie ihre Arbeit ordentlich erledigen, und pfusche ihnen nicht ins Handwerk, jedenfalls im Großen und Ganzen. Ich mische mich nicht in ihr Privatleben, und ich habe auch keine Ambitionen, für irgendjemanden die Vaterrolle zu spielen.«
    Er machte eine kurze Pause - so als würde er auf einen Kommentar von mir warten.
    Ich sagte: »Ciaire hat sechs Jahre für Sie gearbeitet. Offensichtlich hat es ihr gefallen.«
    »Das würde ich vermuten.«
    »Wie sind Sie auf sie gestoßen?«
    »Ich hatte ein Forschungsprojekt ausgeschrieben, und sie bewarb sich für die Stelle als Neuropsychologin. Sie hatte gerade promoviert und danach eine Studie an der Case Western abgeschlossen. Sie hatte während des

Weitere Kostenlose Bücher